Der Triumph der Heilerin.indd
doch sein unbeherrschtes Auftreten und seinen Selbstsicherheit zeigten, dass er sich darüber noch nicht ganz klar war.
»Herr Gott, steht auf. Steht endlich auf, Mann!«
Louis erhob sich vorsichtig, ohne den König auch nur für einen Moment aus den Augen zu lassen. Es war ihm gelungen, eine ruhige, distanzierte Haltung zu bewahren, aber nun wollte er nur noch tief einatmen, denn Angst und Wut hatten ihm die Luft abgedrückt. In dem Bemühen, diesen Drang zu unterdrücken, bekam er einen Hustenanfall. Der König klopfte seinem Gastgeber mit aller Kraft auf den Rücken und schimpfte: »Ich habe es ernst gemeint, Louis. Wenn Euer Herzog mich nicht sehen will und Ihr mir keine Männer mitgebt, dann fürchte ich, muss ich mir nehmen, was immer ich kann. Ihr könnt von mir nicht erwarten, dass ich mich nach dieser langen Zeit immer noch geduldig einsperren lasse!« Die letzten Worte schrie Edward durch den kalten Raum und schlug Louis dabei noch einmal schmerzhaft auf den Rücken. Die Welt hielt den Atem an, vor der Tür erstarb jedes Geräusch. Louis schloss seine schmerzenden Augen. Er konnte sich die Männer im Vorzimmer so genau vorstellen, als stünden sie neben ihm: die Engländer und die Flamen, die einander anstarrten und warnten, ja nicht den ersten Schritt zu tun.
»Euer Majestät, ich kann wenig ausrichten. Das schmerzt mich aufrichtig, aber es ist die Wahrheit. Ihr müsst meinem
Herrn mehr Zeit geben. Ich bitte Euch, übereilt nichts.« Womit er meinte, macht keine Dummheiten.
Der Binnenhof war einst eine große Festung der Grafen von Holland gewesen. In ihren Mauern gab es immer noch Verliese. Louis überlegte sich, auch wenn er diesen Gedanken verabscheute, ob er Edward Plantagenet nicht doch Quartier in einem dieser fensterlosen Zimmer anbieten sollte. Dann wäre er ein offizieller Gefangener und nicht nur ein frustrierter Gast. Wäre er dazu bereit? Einen Augenblick lang sah Louis vor seinen inneren Augen diesen prächtigen Mann in Ketten gelegt und hungernd. Aber er kannte die Antwort auf diese Frage, wie er auch seine Pflicht gegenüber dem Herzog kannte. Ja, wenn es sein musste, wäre er dazu bereit.
Der König packte Louis schmerzhaft an der Schulter und kam ihm mit seinem Gesicht ganz nah. Den Gouverneur schwindelte. Gleich würde er ohnmächtig werden! Da zog sich ein Schatten von Verzweiflung über die strahlend blauen Augen des Königs. »Louis, ich flehe Euch an.« Es war nur ein Flüstern, die Männer vor der Tür hörten nichts, so sehr sie sich auch anstrengten. Die Stille erfüllte sie mit Furcht. Furcht war es auch, was ihre Herren drinnen im Saal empfanden.
De Gruuthuse zuckte die Achseln und lächelte verkrampft. »Edward, Ihr müsst Geduld haben. Mehr kann ich Euch nicht bieten. Ich bin Euer Freund, und mein Herr möchte ebenso Euer Freund bleiben. Nein!« Der Ritter erhob seine Hand, als Edward ihn wütend anblitzte. »Das ist die Wahrheit! Ihr müsst das verstehen. Jetzt ist nicht die Zeit für übereiltes Handeln. Wir, wir alle, brauchen genauere Informationen über die Pläne des französischen Königs. Ihr müsst Euch zusammenreißen, Edward. Diese Spinne wäre doch überglücklich, wenn Ihr ohne ausreichenden Schutz, ohne ausreichende Waffen von hier losziehen würdet. Dann hätte er leichtes Spiel, Euch zu vernichten! Und was wäre dann mit Eurem Land?«
»Mein Land? Mein Land will mich nicht oder braucht mich nicht. Und meinem Volk wäre das wahrscheinlich egal.«
Nun war es heraus. Die Angst, die Unsicherheit, das Entsetzen hatte endlich eine Stimme bekommen.
Louis lächelte. Es war ein Lächeln, das der liebende Vater seinem Sohn schenkt, wenn dieser zum ersten Mal seine Kräfte mit ihm messen möchte. »Majestät, das ist nicht wahr. Ihr und ich wissen, dass die wichtigsten Magnaten Eures Reichs geduldig abwarten werden, ob es sich lohnt, gemeinsame Sache mit Warwick zu machen. Vor allem jetzt, wo Ihr einen Sohn habt und Eure Nachfolge gesichert ist.«
Louis de Gruuthuse wunderte sich, als der König bei seinen Worten in Lachen ausbrach. Er lachte, bis er nach Atem rang und sich beinahe verschluckte. »Ja, ich habe einen Sohn. Den Sohn, den ich mir immer gewünscht habe!«
Der Tonfall, in dem er dies sagte, war seltsam. Es klang, als betrauerte der König eher einen Verlust, als dass er sich über sein Glück freute. Louis dachte nicht weiter darüber nach, denn offensichtlich stand Edward kurz vor einem Zusammenbruch.
»Ihr müsst meinem Herrn vertrauen. Wenn Ihr
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