Der Triumph der Heilerin.indd
nicht nach Nahrung. Jetzt müssen für
Lady de Bohun Gebete gesprochen werden, und das kann ich tun, hier an ihrem Bett.«
Louis war verblüfft. Das war die legendäre Lady de Bohun? Wieso hatte er die Frau nicht erkannt, die drei oder vier Jahre zuvor wie ein Meteor in die Kaufmannschaft von Brügge eingeschlagen war? Er entließ den neugierig gewordenen Arzt mit einem Wink und eilte an das Bett, jedes Zartgefühl vergessend. Und dann begriff er.
In Brügge hatte er diese Frau nie anders als in höfischer Kleidung gesehen und natürlich nie mit offenem Haar wie jetzt. Und an diesem Abend, als sie inmitten einer aufgeregten Menge von Höflingen und Dienern vom König hereingetragen worden war, war ihr Gesicht unkenntlich durch das Blut gewesen und ihre Kleidung alles andere als vornehm.
»Ja. Es ist Lady de Bohun. Ich erkenne sie jetzt.«
Er und Edward sahen sich an. Louis de Gruuthuse verstand nun alles. Er verbeugte sich mit dem Takt des geborenen Höflings.
»Ich werde dafür sorgen, dass Ihr nicht gestört werdet, Euer Majestät«, sagte er und bewegte sich ehrerbietig hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.
Im Zimmer war es still. Edward Plantagenet beugte sich vor und strich vorsichtig eine Haarsträhne aus Annes Gesicht. Sie rührte sich nicht. Er nahm ihre bleiche Hand und hielt sie an sein Gesicht. Ihre Haut fühlte sich kühl und weich an. »Mein Liebling. Ich bin hier. Ich werde die ganze Nacht bei dir bleiben. Und auch morgen - so lange du mich brauchst. Aber wenn du mich hören kannst, sag mir, Anne, was du für mich hast.«
Er bekam keine Antwort, nur das Feuer knisterte, als ein Holzscheit verrutschte und Funken im Kamin hochwirbelten. Und bei diesem plötzlichen Aufflackern des Feuers sah Edward Annes kleines Lederbündel. Es war gedankenlos in eine Ecke geworfen worden, und nun erhaschte der König aus den Augen-winkeln einen Streifen Hellblau mit einem Schuss Gelb. »Vergib mir, mein Liebling.«
Mit zwei Schritten war er dort, hob das Bündel auf und löste die Schnallen, die es zusammenhielten. Und dort, ganz unten, unter einem Schal aus fein gesponnener, blauer und gelber Wolle, eingewickelt in ein Kleid, fand er, wonach er suchte.
Das milchbleiche Mädchen im Bett rührte sich nicht, als Edward Plantagenet den Brief seiner Schwester vorn in seinem Wams verbarg. Er wollte ihn später lesen. Er wog die schwere Börse in seinen Händen und sah auf Annes geschlossene Lider, auf ihren bandagierten Kopf. Anne hatte für seine Freiheit teuer bezahlt.
Kapitel 19
Das Neugeborene wimmerte, es hatte schon wieder Hunger. Herzogin Jacquetta hob den Prinz aus der Wiege und schaukelte ihn in ihren Armen. Aber das beruhigte ihn nicht. Auch nicht, als sie ihm einen Finger zum Lutschen gab.
»Mutter?«, kam es missmutig vom Bett her. »Es hilft nichts, ich kann nicht einschlafen. Der Mohn hat nichts genützt. Gib ihn mir. Dann ist wenigstens einer von uns zufrieden.«
Das Kind war fest eingewickelt, die Ärmchen an die Seite gebunden. Wie eine kleine Seidenraupe, dachte seine Großmutter zärtlich, als sie den Knaben, der eigentlich als Prinz von Wales auf die Welt hätte kommen sollen, zu ihrer Tochter brachte. Elizabeth Wydeville setzte sich mühsam auf und entblößte eine pralle Brust. Sie war stolz, dass sie so viel Milch hatte. Sie legte das Kind in ihre rechte Armbeuge und klopfte leicht auf seine Wange, damit es seinen Kopf zu ihr drehte. Es roch die Milch und schloss seine Lippen um die Brustwarze.
Das Wimmern hörte auf, und das Kind saugte und schniefte und saugte wieder, so gierig, dass es sich verschluckte. Empörtes Brüllen erfüllte das kleine Zimmer.
»Nein, Edward, nicht so ungeduldig. Also wirklich. Genau wie dein Vater, manchmal ...« Elizabeth sah hoch und fing den belustigten Blick ihrer Mutter auf. Die Andeutung eines Lächelns spielte um die Lippen der Königin, das erste Lächeln seit vielen Wochen. Sie wiegte ihren Sohn und leitete ihn mit der Routine einer erfahrenen Mutter an. »Hier, ja, so ist gut ... langsamer, nicht verschlucken.« Sie entspannte sich, als das Saugen des Knaben in einen gleichmäßigen Rhythmus überging und er konzentriert die Augen schloss.
»Es tut mir leid, dass wir dir keine Amme besorgen konnten, mein Kind.«
Die Königin schüttelte den Kopf. »Das macht doch nichts. Ich habe so etwas noch nie gemacht. Es ist irgendwie . anders. Ich bin froh, dass ich dieses Kind stillen kann.«
Die Herzogin wurde neugierig. »Aber deine Brüste,
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