Der Tuchhändler (German Edition)
Schutzheilige der Stadt; vielleicht hätte er heute bei uns gesessen und hatte auf das Geschehen eingewirkt. Auf der zweiten der beiden Isarbrücken zog ich Ernst Wechslers Siegel aus der Tasche und warf es ins Wasser.
Tannberger ritt kaum eine Stunde nach meiner Rückkehr auf meinen Hof los, das Schreiben in der Tasche, ohne zu wissen, was darin stand. Er war stolz darauf, daß ich ihn nochmals für eine Mission ausersehen hatte, und ebenso erfreut wie peinlich berührt darüber, daß ich mich bei ihm für meine Undankbarkeit entschuldigte und ihn für seinen Erfolg mit der Stofflieferung vor allen anderen lobte. Er fragte nicht einmal nach, warum es so wichtig war, daß die Botschaft den Richter in Burghausen so schnell wie möglich erreichte. Ich setzte mich zu Jana in die Stube, wo ich feststellte, daß ihre Gegenwart schon seit den wenigen Stunden, in denen sie sich auf dem Hof aufhielt, die Verlegenheit meines Gesindes weggefegt hatte. Beim Essen herrschte ein Lärm wie schon lange nicht mehr. Schweigsamer als sonst war hingegen der Verwalter, der Janas Hiersein sichtlich noch immer nicht mit meinen Erzählungen der letzten Tage in Einklang bringen konnte. Ich konnte ihm nicht helfen; er würde warten müssen, bis ich ihm alles erklärte. Nach dem Essen ging ich zu Bett, und Jana folgte mir mit der gleichen zögernden Scheu wie gestern, als wüßte sie nicht, ob es das Richtige sei, was sie tue. Sie blieb mitten im Raum stehen und sagte: »Wenn dir meine Anwesenheit hier peinlich ist, kannst du es ruhig sagen. Ich würde die Wahrheit jedenfalls deiner verschlossenen Art vorziehen.«
Ich sah auf und sagte: »Jana, wenn du weggehst, reite ich dir persönlich hinterher und trage dich wieder zurück.«
»Du wirst mich nirgends halten können, wo ich nicht bleiben will«, antwortete sie. Ich nickte.
»Ich weiß. Und du wirst mich nicht von dem Platz fernhalten können, an dem du dich aufhältst.«
Plötzlich lächelte sie und setzte sich neben mich auf das Bett. Sie lehnte sich an meine Schulter und rieb ihr Gesicht am Stoff meines Wamses.
»Du glaubst, daß morgen die Entscheidung fällt, und das bedrückt dich«, sagte sie nach einer Weile hellsichtig. »Was macht dir dabei zu schaffen? Freust du dich nicht, daß es endlich zu Ende geht?«
»Es sind noch immer so viele Unwägbarkeiten vorhanden«, erklärte ich seufzend. »Ich weiß nicht, ob ich dort in der Kirche alles in den Griff bekomme.«
Sie richtete sich auf und sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
»Du willst selbst vor Ort sein?« fragte sie.
»Natürlich. War dir das nicht klar?«
Sie schüttelte den Kopf. Für eine lange Minute schien sie nur nachzudenken, ob sie die Gedanken, die über ihr Gesicht huschten, aussprechen sollte. Schließlich erwiderte sie nur: »Du bist alt genug geworden, ohne daß ich auf dich achtgegeben hätte. Ich möchte dich nur bitten, daß auch du auf dich aufpaßt.«
»Wenn dir soviel daran liegt ...«, sagte ich halb im Scherz. Sie lächelte schief und nickte, ohne dabei meinen Blick loszulassen.
Es war unsere zweite Nacht, aber diesmal liebten wir uns nicht. Ich hatte das Gefühl, daß mein Körper im Fieber brannte, aber es war nicht das Fieber nach ihr, das mich verzehrte. Ich wußte, ich hätte weder ihr noch mir Vergnügen bereiten können, und so ließ ich es sein. Vielleicht war es ein Fehler; aber aus der Art, wie sie sich nach einem Moment der Verblüffung an mich drängte und nach wenigen Augenblicken in meinem Arm einschlief, schloß ich, daß es vielleicht doch keiner gewesen war.
Ich lauschte ihren Atemzügen und fand lange keinen Schlaf.
Am folgenden Tag war Albert Moniwid davon zu überzeugen, daß er in der Kirche dabeisein müsse, wenn der Richter auftauchte und damit quasi sein Geständnis ablegte. Moniwid sträubte sich, bis ich sagte: »Wenn Ihr nicht dabei seid, werdet Ihr mir jemals glauben, daß er tatsächlich der Mörder ist?«
Er verzog das Gesicht. Der Brief und der leichte Rauschzustand, in dem er sich dank des Schmerzmittels befand, schienen seine Sturheit ein wenig erschüttert zu haben, denn er antwortete: »Ich denke schon. Ihr habt mich überzeugt mit Eurer Hartnäckigkeit.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich will Euch trotzdem mit dabeihaben.«
»Traut Ihr meinem Wort nicht?«
»Hätte ich irgendeinen Anlaß dazu?«
Er brummte zornig, ergab sich aber schließlich meinem Wunsch. Ich vereinbarte mit ihm, daß ich ihn nach der Abendmesse abholen und zur Kirche
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