Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
Vom Netzwerk:
Garnituren Bettwäsche mit Spitze sowie die Zusicherung, dass Julia Mamita Lula als Haushälterin in ihr neues Zuhause mitnehmen könne. Für Julias Mutter war Letzteres eher eine Erleichterung als ein Opfer. Sie verstand sich nicht mit diesem dunkelhäutigen Mädchen, das ihr nie in die Augen sah. Sie hielt sie eher der Mode wegen als aus Notwendigkeit. In jener Zeit konnte keine Familie, die etwas auf sich hielt, darauf verzichten, zumindest einen schwarzen Bediensteten zu haben. Aber Julias Mutter fand, dass diese Leute nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt waren.
    »Woher kommen diese Geschöpfe?«, fragte sie. »Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, und es ist ja wohl klar, dass wir
ihnen
nicht gleichen … Also, Menschen sind das nicht.«
    Julia verbrachte die Nacht vor der Hochzeit mit Weinen. Sie heiratete in der Kathedrale von Sevilla, in der Capilla Mayor, vor einem der bedeutendsten Retabel der katholischen Kirche. Hunderte geschnitzter Heiligenfiguren wurden Zeugen der Schluchzer der Braut.
    »Das ist die Rührung«, sagte ihre Mutter entschuldigend. »Sie ist so verliebt!«
    Die Feier war ein gesellschaftliches Ereignis. Über zweihundert Gäste waren geladen, darunter der Erzbischof, der Bürgermeister, der gesamte Stadtrat und die Ritter der Vierundzwanzig, eine alte Institution, der die Nachkommen jener Männer angehörten, die König Ferdinand bei der Eroberung Sevillas unterstützt hatten und die sich dann in der Stadt niederließen, um diese wieder mit aufrechten Christen zu bevölkern. Den Rittern der Vierundzwanzig gehörten die vornehmsten Familien an, darunter auch jene Don Diego López de Haros. Bei dem anschließenden Festbankett wurden Rebhühner in Mandelmilch serviert, Kalbfleisch auf Gemüse und gefüllte Artischocken. Mulatten mit nacktem Oberkörper und in roten Seidenhosen gingen mit Tabletts voller Schinken im Teigmantel und gespicktem Lammbraten zwischen den Tischen umher, und aus einem Brunnen auf dem Tisch der Brautleute sprudelte ein Strahl besten Weins. Als Nachtisch wurden Karamellcreme, Mandeltorte und Bitterorangenkuchen gereicht.
    Weder die großzügige Bewirtung durch das Brautpaar noch die Tatsache, dass die Braut während der ganzen Feier mit betrübtem Gesicht und feuchten Augen dasaß, konnten das Gerede zum Verstummen bringen. Zwei Tage nach der Hochzeit war die ganze Stadt davon überzeugt, dass die neue Frau des Druckers aus Berechnung geheiratet habe.
    Deshalb wusste Julia, dass es nicht darauf ankam, was sie machte oder sagte; die meisten Leute hielten sowieso an ihrer vorgefertigten Meinung fest, die ihnen dabei half, ihre Welt zu ordnen. Sie hatte sich immer so verhalten, wie man es von ihr erwartete, und ihr eigenes Glück hintangestellt, und am Ende hatte man doch hinter ihrem Rücken über sie getuschelt.
    »Was hältst du davon zu heiraten?«, fragte sie León noch einmal.
    »Du musst dich nicht meinetwegen mit den Leuten anlegen.« Auf seinem Gesicht lag ein stolzes Lächeln. Er war sich seiner Sache sicher. Es konnte keinen Zweifel mehr geben: Diese aufregende Frau liebte ihn.
    »Ich lege mich nicht mit den Leuten an. Ich pfeife darauf«, sagte sie. »Ich hasse die Leute, ich hasse ihre Vorschriften und ihre Regeln … Ich hasse alles außerhalb meines Hauses.«
    »Ich werde nicht von hier fortgehen, falls es das ist, was du befürchtest«, antwortete León. »Du musst nicht das Gerede deiner Nachbarn herausfordern. Ich bin oft genug geflohen in meinem Leben. Hier ist mein Zuhause. Ich werde immer an deiner Seite sein.«
    »Ich verstehe das nicht«, protestierte Julia und schüttelte den Kopf. »Wäre ich doch als Mann auf die Welt gekommen, dann würde man mir auf einen solchen Vorschlag mit Ja oder Nein antworten und nicht mit diesem Wortgeklingel, das mich ganz schwindlig macht …«
    »Ist ja gut, ist ja gut.« León lachte. »Ja … lass uns heiraten.«
    ***
    AM NÄCHSTEN MORGEN stand León in aller Frühe auf. Es funkelte noch der eine oder andere Stern am Himmel, als er lautlos die Druckerei verließ. Um diese Uhrzeit war keine Menschenseele auf der Straße, und in dem Spiel aus Licht und Schatten trat die Zerstörung, die das Erdbeben hinterlassen hatte, noch deutlicher zutage. Er sah in beide Richtungen die Straße entlang und ging dann nach rechts in Richtung Plaza de San Francisco, am Königlichen Gefängnis vorbei, das nur noch ein Schutthaufen war.
    Als die Mauern eingestürzt waren, hatten die Gefangenen die Gelegenheit genutzt, um

Weitere Kostenlose Bücher