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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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uns die Videos übergeben. Hat komischerweise irgendwie erleichtert gewirkt. Aber er wollte nicht über die Sache reden, wollte keinerlei Erklärung abgeben. Deshalb sind Sie und Merrily für uns im Moment so wichtig.»
    «Verstehe.»
    «Und verraten Sie der Schneekönigin nicht, dass ich Ihnen das erzählt habe.»
     
    Annie Howe sagte: «Haben Sie von dem Fall Michael Taylor gehört?»
    «Ja.»
    Das gefällt ihr so richtig
, dachte Merrily.
Das wäre die Lösung des Falls auf dem Silbertablett.
    Sie sehnte sich nach einer Zigarette, aber diese Blöße würde sie sich vor Howe nicht geben. Außerdem sehnte sie sich nach Ruhe und Frieden, wollte sich aufs Sofa legen, nachdenken und sich, wenn nötig, die Frustration von der Seele schreien. Nichts ergab irgendeinen Sinn. Und zwar schon seit Tagen nicht. Langsam begann sie Gerard Stock zu hassen und Simon St.   John zu verabscheuen, der etwas gewusst haben musste, sonst wäre er Stock nicht so ablehnend begegnet.
    «Es ist in der Nähe von Barnsley in Yorkshire passiert.» Howe hatte sich wieder hinter ihren Schreibtisch gesetzt. «Mitte derSiebziger. Ich kenne die meisten Einzelheiten, wegen dieses angeblichen Satanisten, den wir vergangenes Jahr aus dem Wye gefischt haben. Als ich deshalb ein paar Informationen über Satanismus aus dem Archiv aufgerufen habe, war der Fall Taylor der erste, der auf meinem Bildschirm aufgetaucht ist.»
    Merrily schloss die Augen und zog an einer imaginären Zigarette.
    «Michael Taylor war einunddreißig, ein guter Christ, ein Familienmensch – und zusammen mit seiner Frau Mitglied in einer religiösen Gruppe am Ort. Irgendwann aber, und aus Gründen, die niemand je erklären konnte, überkam ihn die Überzeugung, er wäre vom Teufel besessen.»
    Auf Howes Schreibtisch lagen ein paar Aktendeckel. Sie schlug einen auf und nahm eine Klarsichthülle in die Hand.
    «Zwei Pfarrer haben Taylor bestätigt, dass er vom Bösen besessen sei, und sie haben eine ganze Nacht versucht, ihn zu exorzieren. Anschließend haben sie behauptet   … wenn ich mich recht erinnere   … vierzig Dämonen ausgetrieben zu haben. Na ja. Auf jeden Fall hat sich Taylor früh am nächsten Morgen von den Pfarrern verabschiedet, ist nach Hause gegangen   …»
    «Ich
weiß.
» Merrily verzog das Gesicht. «Ich weiß, was er getan hat, es ist nicht notwendig   …»
    «Er ist nach Hause gegangen und hat mit unglaublicher Brutalität seine Frau angegriffen.»
    «Ja.»
    «Mit seinen bloßen Händen und Fingernägeln hat er ihr die Haut zerfetzt und die Zunge herausgerissen. Und die Augen.»
    Merrily lehnte sich zurück und starrte zur Decke hinauf.
    «Irgendwann ist sie an ihrem eigenen Blut erstickt», sagte Howe.
    «Und Taylor hat in seiner Aussage bei der Polizei behauptet», Merrilys Stimme war rau, sie konnte Howe nicht ansehen, «dasser seine Frau über alles geliebt hat, sie aber vom Bösen besessen war, das er zerstören musste.»
    «Das kann man wohl nicht als besondere Glanzstunde der Kirche ansehen.»
    «Der Exorzismus eines Menschen ist ein komplexer und gefährlicher Vorgang», sagte Merrily. «Aber Stocks Fall   … liegt vollkommen anders.»
    «Wirklich?»
    «Es war kein Exorzismus. Das habe ich Mr.   Stock schon zu Anfang eindeutig klargemacht. Ich habe mich sogar dagegen entschieden, das gewöhnliche Seelenamt abzuhalten, weil es zu sehr nach christlicher Magie hätte aussehen können. Es war ein Gebet, mehr nicht – ein Gebet als erste Stufe im Umgang mit einer unklaren geistigen Anwesenheit, bei der es zunächst keinerlei Anlass gibt, an einen Dämon zu denken.»
    «Reden wir noch einmal über Taylor», sagte Howe. «Der Richterspruch lautete wegen Unzurechnungsfähigkeit auf nicht schuldig. Das hat damals einen ziemlichen Wirbel verursacht.»
    «Was man über dieses Urteil sagen sollte, ist, dass   … auch wenn Michael Taylor offenkundig immer freundlich, beliebt und überhaupt nicht gewalttätig war   … von niemandem, nicht vom Richter, nicht von den Geschworenen und auch nicht von der Presse, auch nur im Entferntesten in Betracht gezogen wurde, dass er vielleicht wirklich von einem übernatürlichen Bösen besessen war.»
    «Er wurde für unzurechnungsfähig erklärt.» Für Howe gab es vermutlich keinen Unterschied zwischen Unzurechnungsfähigkeit und Besessenheit. «Sein geistiger Verfall scheint mit der Mitgliedschaft in dieser religiösen Gruppe einhergegangen zu sein. Und seine Ausübung dieser beinahe unvorstellbaren Gewalt

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