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Der Turm der Seelen

Der Turm der Seelen

Titel: Der Turm der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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werden?»
    So ausgedrückt, klang es wirklich lächerlich.
    Warum war ihr dann auf einmal so heiß?

28   Ein religiöser Mann
    Lol ging mit Merrily hinaus zu dem grauen Saab. Sie trug einen kurzen orangefarbenen Rock, ein knittriges weißes Jackett und eine Schultertasche aus Leinen. Was für eine Exorzistin!
    Er dachte:
Sie werden es tun. Sie werden sie opfern
.
    Beim Auto, als wären sie gleichzeitig zu dieser Schlussfolgerung gekommen, drehte sich Merrily zu ihm um und warf ihm ein missglücktes Lächeln zu.
    Hinter ihr, auf dem sanften Abhang, an dessen Fuß der Frome lag, war die Wiese gemäht und das Heu gewendet worden, es sah aus wie ein Feld voller Blattgold.
    Vom Fahrersitz aus hob die würdevolle Sophie eine Hand zu einem förmlichen Gruß, wie es die Queen oder so jemand tat. Sie hatte einen dunkelblauen Anzug an und lächelte nicht. Dann ließ sie den Motor aufheulen wie der Fahrer eines Fluchtfahrzeugs. Sophie würde für Merrily tun, was immer sie konnte. Vermutlichwürde sogar der Bischof tun, was er konnte. Doch am Ende würden sie alle beide am kürzeren Hebel sitzen.
    Lol sah zu, wie Sophie wendete und der Wagen anschließend hinter der nächsten Kurve verschwand. Unruhe stieg in ihm auf, und er drehte sich schnell um, ging den Weg hinunter und über die Heuwiese bis zum Fluss, der gurgelnd unter dem Brombeergesträuch, unter der Hecke und den üppigen violetten Weidenröschenufern dahinströmte.
    Der Frome. Er nahm seinen Weg genauso unsichtbar wie die Wahrheit.
    Genau in dem Moment, in dem es vollkommen unwichtig schien, ging ihm auf einmal die eigentliche Bedeutung der letzten Textzeile seines Frome-Songs auf.
    Das ist es, was du getan hast, stellte Lol für sich fest. Du bist mit einem anderen Fluss zusammengeflossen.
     
    Auf seinem Weg durch Knight’s Frome begegnete er keiner Menschenseele. Keine Polizei, keine Presse. Er überquerte die Brücke in Richtung der kleinen, tief in der Senke liegenden Kirche. Der Friedhof war eine einzige Wildnis, das Gestrüpp wucherte so stark über seine Einfriedung hinaus, dass man nicht sagen konnte, wo er aufhörte und wo das Umland anfing. Ein paar der Grabsteine ragten kaum noch über das Gebüsch hinaus.
    Lol stand in der Vorhalle und lauschte. Er hörte keine Stimmen und kein Füßescharren und auch sonst kein Geräusch. Er trat ein und ließ den eisernen Türriegel hinter sich in die Halterung fallen.
    Manche Kirchen übten mit ihrer Kühle und Bedeutungsschwere immer noch eine bedrückende Wirkung auf ihn aus, mit ihrer Unzugänglichkeit und ihrer von lebensfremdem Gesängen geschwängerten Atmosphäre. Diese Kirche allerdings war von beinahe frugaler Schlichtheit, und das Licht hatte durch die Sonneneinstrahlungund den Staub in der Luft eine ockerfarbene Tönung. Lol setzte sich in eine der hinteren Bänke ganz an den Rand. Den Altar konnte er von seinem Platz aus kaum sehen. Das war sehr gut so.
    Eine Zeitlang saß er nur still da. Die Ablage für die Gesangbücher war vollkommen zugestaubt. Jemand hatte zwei Herzen mit Initialen in den Staub gemalt.
    Lol nahm seine Brille ab und fragte sich, wie oft Merrily das wohl jeden Tag tat – wie lange es dauerte, um das Eis zu brechen. Es kam ihm so vor, als könnte man es als eine Art Meditation ansehen. Man musste mit seinem tiefsten Inneren Kontakt aufnehmen, dem Teil, der in ein kollektives Unbewusstes floss, das hinter der Erkenntnis dessen dahinströmte, was auch immer man als Gott bezeichnete.
    Auch hier schienen die Bilder von einem Fluss am besten zu passen.
    «Hör zu», flüsterte er, als es ihm so vorkam, als habe er die Kontaktebene erreicht, «wir kennen uns eigentlich nicht – oder besser, ich kenne Dich nicht. Aber wir haben ein gemeinsames Ziel, und ich hoffe, Du lässt sie nicht im Stich.»
    Unwillkürlich hatte er die Augen halb geschlossen und nahm nur noch einen gelblichen Helligkeitsschleier wahr, in dem sich die Fenster als weiße Flecken abzeichneten.
    «Sie wird sich nämlich nicht verteidigen, das weißt Du. Sie wird immer das sagen, was aus ihrer Sicht die Wahrheit ist, und das könnte für gewisse Leute leicht die falsche Wahrheit sein. Mir ist klar, dass wir nur durch das Leiden weiterkommen, nur, indem wir irgendwas vermasseln, und vielleicht hat sie es ja vermasselt   … aber sie hat ihr Bestes getan, und was kannst Du mehr verlangen? Und wenn sie geht, dann wird sie nicht zurückkommen, und ich glaube nicht, dass irgendwer davon etwas hätte. Ich meine, welche

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