Der Turm der Seelen
Ich habe keinerlei Schuldgefühle deswegen. Sie hat damals den Anfang gemacht. Sie wusste genau, was sie tat. Und ich bin Geschäftsmann, kein Lehrer oder Politiker. Ich bin nicht verpflichtet, jedermann ein Vorbild zu sein.»
«Aber sie geht immer noch zur Schule.»
«Und das wird sie auch weiterhin tun, bis sie ihr spitzenmäßiges Abschlusszeugnis in der Hand hat. Die Zeiten ändern sich, Hochwürden. Und ich habe nichts dagegen. Man lebt nur ein Mal, und dieses Leben will ich nicht in ausgefahrenen Gleisen verbringen.» Er deutete mit dem Zeigefinger auf Merrily. «Ist er berühmt, dieser Typ?»
«Nicht besonders.»
«Und jetzt ist er zu alt, um es noch zu werden. Was wollen Sie mit so einem Loser?»
«Er ist kein Loser. Er verdient bloß nicht viel Geld. Vielleicht sind ja Sie der Loser.»
«Wie kommen Sie denn darauf?»
«Muss wohl an meiner verdrehten christlichen Art liegen, die Dinge zu beurteilen.»
Er schüttelte gereizt den Kopf. «Was wollen Sie eigentlich? Nicht den Shelbones helfen, schätze ich.
Niemand
will den Shelbones helfen.»
«Das würde mich außerdem zu Ihrer Gegnerin machen, nicht wahr?»
Er ballte die Faust. «Woher
haben
Sie diesen Mist nur? Der Mann ist dermaßen überempfindlich, verdammt nochmal. Seine Kollegen finden ihn furchtbar und die Leute vom Stadtrat genauso. Er will aus Hereford ein Museum machen. Und wie viele Arbeitsplätze gibt’s in einem Museum? Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel Geld auf Barnchurch gesetzt wurde? Wie viele Leute den Bach runtergehen, wenn das Projekt scheitert?»
«So ein Projekt scheitert nicht wegen einer einzelnen denkmalgeschützten Scheune. Es muss nur ein bisschen verändert werden.»
«Verändert?» Sein Gesicht lief vor Wut rot an. «Ein voll durchkonzeptionalisiertes Multi-Millionen-Projekt, das
jeder
befürwortet, soll wegen der Marotte eines einzelnen Mannes
verändert
werden? Lassen Sie mich Ihnen sagen: Bei einem Vorhaben auf der grünen Wiese müssen wir richtig groß auftreten, wir brauchen den ganzen verdammten Platz, und was wir nicht brauchen können, ist, dass eine Premium-Location genau am Eingang von einem Haufen alter Backsteine zugestellt wird, den wir nicht mal
herrichten
dürfen. Wenn dieses Projekt ein Erfolg wird –
wenn
es ein Erfolg wird –, öffnet es den Zugang zur gesamten Umgehungstangente von Hereford … und das ist ein
Mega
geschäft. Ich kann Ihnen also sagen …»
«… dass es jeder versteht, wenn man eine kleine durchgeknallte Familie zerstört, statt noch mehr Geld zu verlieren?»
Man muss die Leute so richtig bluten lassen, anders geht’s nicht.
«Das ist eine vollkommen naive Vereinfachung», sagte er.
«Und das ist ein Eingeständnis», sagte Merrily.
Zuerst wirkte alles total dunkel.
«Amy?», rief Layla. «Bist du nicht hier, Schätzchen?»
Dann formte sich langsam ein Lichtrhombus oben an der rückwärtigen Wand – der alte Belüftungsschlitz.
Sie waren durch die Tür oben an der Treppe hereingekommen. Wahrscheinlich standen sie auf dem ehemaligen Heuboden.
«Amy!»
Der Ruf hallte sehr stark nach. Von der Größe her konnte das Gebäude leicht als Kirche durchgehen, doch es roch ganz anders. Nach einer merkwürdigen Mischung aus fauligem Heu und Dünger und Maschinenöl und irgendetwas Säuerlichem.
«Anscheinend nicht da», sagte Layla. «Los, gehen wir runter. Ihr haltet euch besser hinter mir. Gibt kein elektrisches Licht hier drin.»
Eirion nahm Janes Hand und drückte sie ermutigend. Das hier lief einfach alles so dermaßen komplett falsch. Layla Riddock sollte wütend und völlig fertig sein, weil sie als eine Art spirituelle Kinderschänderin hingestellt worden war, doch stattdessen spielte sie die nette Touristenführerin.
Jane dachte mit leichtem Unbehagen an ihre eigene grässliche Überheblichkeit von vorhin.
Jetzt glaube ich, dass ich es problemlos mit dem Miststück aufnehmen kann
. In Wahrheit hatte sie inzwischen wieder das gleiche Gefühl wie an dem Tag in Steves Schuppen, als sie nichts weiter gewesen war als eine kleine, verwirrte Jungfrau, während Layla als reife Frau vor ihr gestanden hatte. Layla dachte sich nichts aus oder fantasierte – sie
hatte Erfahrung
.
Initiationsritus
? Was für ein Quatsch. Es machte doch überhaupt keinen Unterschied. Jane hatte Layla immer noch nichtsentgegenzusetzen, auch wenn sie jetzt keine Jungfrau mehr war. Eine Romani zu sein wie Layla,
das
bewirkte so richtig was. Sie brauchte Eirion nur einmal
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