Der Turm der Seelen
John.
«Was soll ich machen?», fragte Merrily. «Ich fürchte, dass ich weniger Zeit habe, als mir lieb wäre.» Sie erzählte ihm kurz, was in der Nacht zuvor passiert war. «Und ich muss natürlich zu Hause sein, wenn die Polizei kommt, um mit Jane zu sprechen.» Al nickte, aber sie sah ihm an, dass er mit den Gedanken woanders war.
«Jane schläft vielleicht noch stundenlang
»
, hatte Eirion mehrfach gesagt.
«Fahren Sie ruhig los. Und falls Jane herunterkommt, bevor Sie zurück sind, haben wir bestimmt genug zu bereden, oder?»
Wenigstens war es nicht weit. Sie könnte in einer guten halben Stunde wieder zu Hause sein, falls es nötig wäre. Aber sie hatte auch Mumford angerufen, um ihn zu fragen, ob das Gespräch mit Jane auf den Nachmittag gelegt werden könnte. Bei dieser Gelegenheit hatte Mumford ihr gesagt, dass ein Messer gefunden worden war.
Al sagte: «Um ein Uhr sollten wir damit fertig sein. Um eins haben wir alles getan, was wir tun konnten.»
«Aber wollen wir auch wirklich dasselbe?»
«Wir wollen sie ins Licht führen.»
«Aber ist es
dasselbe
Licht?»
«Licht ist Licht,
Drukerimaskri
. Das wissen Sie doch.»
«Vermutlich.» Sie wusste nicht einmal, ob er Christ war. «Wo ist Sally?»
«Macht einen Spaziergang. Muss ein bisschen nachdenken.»
«Ist sie mit … Ihrem Vorschlag einverstanden?»
«Ach …» Er nahm einen makellosen Gitarrenhals in die Hand. «Sie findet, wir hätten gleich etwas tun sollen, als wir die erste Ahnung hatten, dass sich etwas zusammenbraut. Ich habe es auch versucht. Ich habe mit Stock geredet. Ist schon ewig her. Ich habe ihm gesagt, er soll das Haus an Lake verkaufen und mit seiner Frau von hier wegziehen.»
«Das haben Sie getan?»
«Tja, aber Stock klopft mir nur herablassend auf die Schulter, als wäre ich einer von diesen harmlosen alten Spinnern, wie man sie auf dem Land eben so trifft. Vielleicht hätte ich mehr Geduld für Stock aufbringen sollen, ihm sagen müssen, dass ich Boswell, der Gitarrenbauer, bin, aber ich wollte nicht, dass er es weiß. Jedenfalls hat er mir vermutlich kein einziges Wort geglaubt.»
«Irgendetwas davon muss er aber geglaubt haben, denn schließlich ist er zu Simon St. John gegangen. Und danach zu mir.»
«Der arme Simon. Er will das nicht machen, nicht einmal jetzt. Er glaubt, ihm könnte etwas passieren und seiner Frau auch. Er fürchtet sich vor dem, was er auf seine Frau herabrufen könnte.»
Merrily verstand nicht genau, was Al damit meinte, aber es war klar, dass keiner besonders glücklich über das Vorhaben war, vielleicht nicht einmal Al selbst.
«Und warum muss es heute sein?», fragte sie. «Wozu die Eile?»
«Für mich ist das keine Eile,
Drukerimaskri .»
Er legte den Gitarrenhals weg. «Ich hatte Jahre Zeit, mich darauf vorzubereiten.»
«Und warum Sie?»
«Weil ich der einzige Vertreter der Roma bin, der hier noch übrig ist. Und weil es schon immer meine Angelegenheit war.»
«Warum?»
Al blickte sich in der Werkstatt um, als ob er sich jedes Detail genau einprägen wolle. Als ob er sich später daran erinnern müsste.
«Ich glaube, Simon ist gerade gekommen», sagte er.
Unter der Adresse, die ihm Frannie Bliss gegeben hatte, fand Lol an der Hauptstraße kurz vor Leominster ein dreistöckiges Reihenhaus aus viktorianischer Zeit. Lol parkte den Astra auf dem Grünstreifen.
Der Mann, den er suchte, wohnte im Erdgeschoss am Ende der Reihenhauszeile, doch zugleich war er der Besitzer des gesamten Hauses, hatte Bliss betont, als wolle er Lol damit irgendetwas zu verstehen geben.
Lol blieb noch etwa zehn Minuten im Auto sitzen, das sich langsam in einen Backofen verwandelte. Er dachte über Simon St. John nach, der einmal gesagt hatte:
«Wir sind hier auf dem Land, Lol, und auf dem Land lügt in gewissen Situationen jeder.»
Und Simon? Hatte er ihm dieses Mal tatsächlich die Wahrheit gesagt? Hatte er sich wirklich so sehr gefürchtet, dass er keinen Exorzismus in Stocks Hopfendarre durchführen wollte? Und warum hatte er dann Merrily nichts davon erzählt, sondern versucht, es so aussehen zu lassen, als hätte Stock die ganze Geschichte bloß erfunden? Lol kam zu dem Schluss, dass sich die Menschen in irrationalen Situationen auch irrational verhielten. Wie würde Merrily reagieren? Würde sie Simon jetzt trotz allem helfen?
Blöde Frage.
Als Lol aus dem Auto stieg, wurde die Haustür des letzten Reihenhauses geöffnet, und ein Mann in einem leichten blauen Anzug trat
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