Der Tyrann von Hades
Bettgestell und zog den Kopf aus dem Block. Außer einem kurzen Frösteln seiner nackten Kopfhaut spürte er nichts. Er setzte sich auf und tastete rasch den Schädel mit den Fingern ab. Wie er vermutet hatte, war er glattrasiert. Aber die Kopfhaut war unversehrt, und man hatte keine der furchtbaren Elektroden angebracht.
»Sine, ich bin in Ordnung. Ich glaube, daß das für uns beide gelten kann.«
Sein Tonfall drückte pure Erleichterung aus. Sine antwortete nicht.
»Sine, hast du mich gehört? Ich sagte, mir geht es gut.«
Wieder keine Antwort.
Er dachte schweigend einen Augenblick lang nach, dann ließ er sich wieder auf das Bett fallen und drückte den Kopf in den Block, bis er in seiner vorherigen Position zur Ruhe kam.
»Sine, kannst du mich jetzt hören?«
»Klar, ich höre dich. Was ist los?«
»Ich zog meinen Kopf aus dem Block und nichts geschah. Sie haben nichts an meinem Kopf angebracht.«
»Wunderbar! Dann haben wir immer noch eine Chance. Kannst du mich auch befreien?«
»Ich versuche es, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wo du steckst. Als ich den Kopf aus dem Block hatte, konnte ich dich nicht hören, und du mich nicht. Ich glaube, wir sind nicht am selben Ort.«
»Beeil dich, Maq. Ich habe das Gefühl, daß bald etwas passiert.«
Ancor spürte ebenfalls, wie die Anspannung stieg und setze sich schnell auf, um seine Umgebung zu untersuchen. Er glaubte, ein leises Geräusch in nicht allzu weiter Entfernung zu hören, aber es war zu undeutlich, als daß er es hätte einordnen können. Er schwang sich vom Bett, um ein Licht zu suchen. Plötzlich erfaßte ihn Panik. Wo der Fußboden hätte sein sollen, spürte er nichts. Seine trainierten Reflexe veranlaßten ihn dazu, sich am Bettrand festzuklammern, während seine Füße Halt an dem Gitter suchten, auf dem das Bett stand.
»Sine, das gibt es nicht. Irgend jemand hat den Boden weggezogen«, sagte er, obwohl er wußte, daß sie ihn nicht hören konnte.
Die Unwirklichkeit seiner Situation gab ihm große Rätsel auf, und er mußte seinen ganzen Mut zusammennehmen, um das Gitter herunterzuklettern. Er schätzte, daß er ungefähr zehn Meter in der Dunkelheit zurückgelegt hatte, als sein rechter Fuß auf der Suche nach dem nächsten sicheren Halt in dem regelmäßigen Muster diagonaler Metallstangen in kaltes Wasser eintauchte. Er zog ihn rasch zurück. Ihn beschlich das Gefühl, daß er sich ein falsches Bild von seiner Umgebung machte, aber ihm kam trotzdem keine Alternative zu einem halb mit Wasser gefüllten Raum in den Sinn, aus dem sich ein zehn Meter hohes Gestell mit einem Bett an der Spitze erhob. Aber wenigstens wußte er jetzt, daß er nicht blind war. Das schwach fluoreszierende Leuchten einiger dahinhuschender kleiner Wasserlebewesen bewies das eindeutig. Ancor kam der Verdacht, daß sie möglicherweise der Duft menschlichen Fleisches angelockt hatte, und verzichtete darauf, weiter hinunter in das Wasser zu steigen. Er hielt kurz inne, überschlug verzweifelt seine Lage und kletterte wieder auf das Bett.
»Sine!« Er spürte, wie sie in Gedanken zusammenzuckte, als er über den Block wieder Kontakt mit ihr aufnahm. »Dieser Ort hier ist unheimlich. Das Bett steht auf einem Turm, und darunter ist Wasser, in dem ein paar Fische schwimmen. Ich weiß immer noch nicht, wie ich zu dir gelangen kann.«
»Ich habe mehr und mehr das Gefühl, daß sie uns einer Art von Test unterziehen, Maq. Vielleicht wollen sie herausfinden, wie sie unseren Willen brechen können.«
»Sie werden uns nicht kleinkriegen, Sine.«
»Maq, mich hatten sie beinahe soweit. Als du weg warst, bekam ich solche Angst, daß ich schrie.«
»Das warst nicht du, Sine. Sie haben dir die Angst über den Block eingeflößt.«
»Das weiß ich, Maq, aber ich konnte den Unterschied nicht spüren. Man kann künstliche und echte Furcht unmöglich auseinanderhalten. Ich kann nicht einmal sagen, wieviel von dem Trost, den mir deine Stimme bringt, echt und wieviel von außen induziert ist. Ich weiß plötzlich nicht mehr, wer ich bin.«
»Diese Blöcke scheinen abnehmbare Versionen des Apparats zu sein, den Carim Carim auf dem Kopf trug. Auf diese Art und Weise führen sie den Auswanderern vor, wie sich eine vernetzte Existenz anfühlt. Dann stellen sie sie vor die Wahl: Entweder liefert ihr eure Gedanken und Gefühle aus und könnt bleiben oder ihr behaltet eure Identität und verlaßt die Neptun-Schale. Kein Wunder, daß so wenige sich zum Bleiben entscheiden.«
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