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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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Diego mit einem Kurzurlaub in Mexiko verbunden. Wir gingen zu Fuß über die Grenze, mieteten in Tijuana einen Wagen und fuhren durch Baja California, Sonora und Chihuahua nach Ciudad Juárez, wo wir den Wagen abgaben und wieder zu Fuß die Grenze überquerten und in El Paso ein Flugzeug nahmen.
    Kurz vor Nogales rostete der Kühler des Mietwagens endgültig durch, das restliche Kühlwasser kochte. Ein Kleinlaster schleppte uns zu einer Werkstatt in einer Wellblechhütte an der Landstraße. Der Mechaniker, der keiner war, musste erst eine Elektrode für sein Schweißgerät besorgen, ehe er den Kühler flicken konnte. Er gab uns den Tipp, während der Wartezeit ein Wachsfigurenmuseum in einem nahen Außenbezirk von Nogales zu besuchen.
    Du hast mich nicht begleitet, sondern in einem Restaurant auf mich gewartet. Du wolltest die Wachsfiguren nicht sehen. Einmal seist du in einem Wachsfigurenkabinett gewesen. Die Figuren hätten jeden deiner Blicke eingesaugt, jedes Geräusch, jeden Gedanken.
    Die Figuren in dem aufgelassenen Kloster waren keine Wachsfiguren, sondern Menschen, deren Haut man mit einer Mischung aus Wachs und anderen Substanzen überzogen hatte – die Mittel waren in die Körper eingedrungen und hatten sie über hundertfünfzig Jahre konserviert. Ein wächserner Pfarrer hielt einen Gottesdienst ab. Ein reicher mexikanischer Bürger gab auf seinem Gut einen Empfang. Ein Arzt in weißem Kittel vernähte die große Schnittwunde im Arm eines Landarbeiters. Ein junger Mexikaner vergnügte sich mit zwei Prostituierten, sein halbbekleideter und die beiden völlig nackten Körper der Frauen waren bestens erhalten, die Bettdecke, die die drei bei ihrem Spiel bedeckt hatte, war zu kleinen Stofffetzen zerfallen.
    Der Bewahrer dieser Stätte war ein in Nogales praktizierender Hausarzt, alle seine Vorfahren waren Ärzte gewesen. Die Apparaturen, mit deren Hilfe der Urahn aus frischen Leichen Figuren produziert hatte, war in einem Keller zu besichtigen. Der Arzt hatte seine Tätigkeit durch einen Maler dokumentieren lassen. Ein Bilderzyklus zeigte, wie ein etwa zwanzigjähriger Mann in eine Wachsfigur verwandelt wurde. In einer Art Käfig wurde sein Körper horizontal und vertikal von Eisenstangen in sitzender Position gehalten. Schmale, in Stahlbügeln verankerte Stäbe fixierten den Kopf von der Mitte des Haaransatzes bis zum Genick und zu den Ohren, ein außen am Käfig befestigtes Feld mit ganz dünnen Stäben, die das Gesicht abzutasten schienen, sorgte für den Gegendruck. Die Augen des jungen Mannes waren weit aufgerissen. Auf dem nächsten Bild schürte ein Mann in einem weißen Kittel, er war nur von hinten zu sehen, das Feuer unter einem großen Kessel. Als dessen Inhalt die entsprechende Temperatur erreicht hatte, drehte er eine Reihe von Ventilen auf. Aus Auslässen, die wie Duschköpfe aussahen, spritzte eine dampfend heiße, zähe Flüssigkeit, die den Körper des jungen Mannes von allen Seiten bedeckte. Ein späteres Bild zeigte den jungen Mann in seiner sitzenden Haltung am Boden auf der Seite liegend, von der Masse bedeckt, als ob er eine grob geformte oder gegossene, unbehandelte Skulptur wäre. Danach trug der Mann im Arztkittel mit einem Skalpell die Wachsmischung ab. Das vorletzte Bild zeigte den nackten jungen Mann, er schien völlig unversehrt, wieder in sitzender Haltung, aber ohne Sitzgelegenheit, den Hintern und die Füße auf dem Boden, den Oberkörper mit dem Kopf an die Wand gelehnt. Ausdrucksvoll blickte er über den Betrachter hinweg. Auf dem letzten Bild saß er in einem schwarzen Anzug auf einem Sofa, einer Dame in einem weißen Kleid zugewandt. Die Dame erzählte gestikulierend, der junge Mann hörte ihr gelassen lächelnd zu.
    Ein paar Tage später hatten wir dann nicht weit vor Ciudad Juárez eine Reifenpanne. Ich bockte den Mietwagen am Straßenrand hoch, aber der verrostete Wagenheber brach entzwei. Ich konnte mich rechtzeitig in Sicherheit bringen, du warst durch einen Eselskarren abgelenkt, die Stoßstange des herunterplumpsenden Fahrzeugs brachte dir eine tiefe Schnittwunde an der Wade bei. Ein äußerst freundlicher gutsituierter Mexikaner fuhr uns in den nächsten Ort zu einem Arzt. Dessen Praxis sah allerdings nicht viel anders aus als das verstaubte Arrangement im Wachsfigurenmuseum. Wir hatten keine Wahl, deine Wunde blutete stark, sie musste versorgt werden. Wahrscheinlich hast du dich an den verunreinigten Instrumenten angesteckt.
    Natürlich ließ ich nach der neuen

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