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Der Überlebende: Roman (German Edition)

Der Überlebende: Roman (German Edition)

Titel: Der Überlebende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst-Wilhelm Händler
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glaubtest du dein Gesicht zu erkennen, deinen Körper, deine Hände. Die Finger am Himmel vollführten eine kaum wahrnehmbare Bewegung, und du hobst deine Arme. Die Finger machten eine andere Bewegung, und du strecktest ein Bein vor.
    Im Gegensatz zu mir verirrtest du dich niemals. Wohlbehalten fandest du in dein Zimmer zurück.
    Als ich in der Hütte aufwachte, war ich allein im Bett. Der Webstuhl stand nicht mehr auf dem Esstisch. Ich trat vor die Tür, du hattest den Campingtisch mit dem Webstuhl darauf und den Korbsessel in den Schatten der großen Kastanie gestellt.
    Es würde ein heißer Tag werden. Du gingst zum Brunnen, zogst dein T-Shirt aus und beugtest dich über den ausgehöhlten Baumstamm, der den Brunnentrog bildet. Du wuschst dich unter dem laufenden Wasser, das aus der waagerechten Eisenrinne floss. Du brachtest das Gesicht ganz nahe an die Eisenrinne heran und verlorst das Gleichgewicht, du stolpertest nach vorn und musstest dich an dem Pfosten mit der Rinne festhalten. Du zögertest, dich wieder aufzurichten. Aus der Ferne sah es aus, als habe die schmale Eisenrinne deine Stirn über den Augen durchbohrt und deinen Kopf durchstoßen. Erst das Geräusch eines Wagens beendete deine Starre. Ohne dich abzutrocknen, streiftest du dein T-Shirt über.
    Peter entschuldigte sich wortreich für die nächtliche Störung. Es war ausgemacht gewesen, dass er mir an diesem Morgen mehrere Unterschriftsmappen vorbeibringen sollte. Am Tag davor hatte er einen Kunden in der Nähe besucht, das Abendessen war schneller zu Ende gewesen, als er gedacht hatte, und er war noch kurz bei uns vorbeigefahren. Wäre in der Hütte Licht gewesen, hätte ich die Unterschriften gleich leisten können, und er hätte noch in der Nacht den Heimweg angetreten. Mit Standlicht war er vor die Hütte gefahren. Beim Zurückstoßen betätigte er aus Versehen den Lichtschalter, vor Schreck drehte er auch noch den Lautstärkeregler des Radios in die falsche Richtung. Es war ihm unendlich peinlich, uns derart belästigt zu haben.
    Auf den Eingangsstufen sitzend, erledigte ich die Unterschriften. Peter sollte bleiben, du schlugst einen Spaziergang vor, danach wolltest du uns eine Brotzeit bereiten. Ich fragte ihn, ob er nicht ein Bad im Teich nehmen wolle. Seine Antwort wartete ich gar nicht ab, sondern ging in die Hütte und brachte ihm eine Badehose von mir.
    Im Sommer liegt der Teich am frühen Morgen ganz in der Sonne, zieht sie ihre Bahn, wirft der Wald seinen Schatten auf das Wasser. Peter hielt sich genau auf der Schattengrenze. Zum Abschluss brachte er das ruhige Gewässer in laute Unordnung, indem er Butterfly schwamm. Rhythmisch strebte sein Oberkörper aus der im Zwielicht liegenden aufgewühlten Wasseroberfläche zum Sonnenlicht hin. Seine Stirn glänzte, seine Haare wirkten wie ein schmaler, hinten spitz zulaufender schwarzlackierter Helm.
    Du warst an deinem Webstuhl, während Peter sich verausgabte. Plötzlich – ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen – sah ich dich mit wehenden Haaren durch die Wiese auf den Teich zulaufen. Erst kurz vor dem Steg verlangsamtest du deinen Schritt. Du setztest dich auf das Ende des Stegs und ließt, tief atmend, die Beine im Wasser baumeln. Peter kraulte noch ein paar Runden vor deinen Augen, ehe er sich verabschiedete. Es war nicht die Zeit und er nicht der Typ für einen Spaziergang.
    Kaum war er gegangen, stiegst du in das Ruderboot, das am Steg vertäut war. Ich sollte es für dich losmachen. Ich wollte ebenfalls ins Boot kommen, aber du sagtest, du wolltest selbst rudern. Jetzt setzte ich mich auf den Steg und ließ die Beine ins Wasser hängen. Kraftvoll rudertest du zum anderen Ende des Teiches. Es kam mir vor, als würdest du Peter mit dem Boot nachfahren.
    Am Abend waren dein Gesicht und deine Arme rot, deine Lippen aufgesprungen, die Haut darum herum war wund. Du hattest den ganzen Nachmittag am Webstuhl verbracht, der Schatten der Kastanie war weitergewandert, dich selbst züchtigend, hattest du dich ohne Schutz der Sonne ausgesetzt. Du trugst ein durchsichtiges Gel auf die Lippen auf, um es einzumassieren, presstest du die Lippen aufeinander.
    Abends konnten wir nicht einschlafen, ich wälzte mich hin und her, du lagst still auf dem Rücken. Ich schwitzte derart, dass das Laken nass wurde. Wenn ich die Augen schloss, hatte ich das Gefühl, das Bett setze meinem Körper keinen Widerstand mehr entgegen, ich sank erst und fiel dann in eine unbekannte Tiefe. Ich flüsterte, ich könne

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