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Der Überraschungsmann

Titel: Der Überraschungsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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die Nummern getauscht?«
    »Mama! Du bist so was von peinlich!« Charlotte verging fast vor Scham.
    Der junge Mann starrte kurz herüber. In seinen Augen glomm so etwas wie trotzige Verachtung. Woher kannte ich nur diesen Blick? Diesen … verächtlichen, herablassenden Blick?
    Genau. So konnte Nathan auch gucken. Das war anscheinend typisch für diese Generation.
    »Entschuldigung«, sagte ich liebenswürdig. »Ich weiß, das war jetzt nicht so cool.«
    Der Junge verzog den Mund zu einem schmalen Strich. Dann vertiefte er sich wieder in sein Handy. Auch Charlotte würdigte mich keines Blickes mehr. Ihre Finger droschen wütend auf die Tastatur ein. Sie sah ihm plötzlich irgendwie … ähnlich. Ich fühlte mich abgestraft. Gab es überhaupt noch Jugendliche, die in der Öffentlichkeit mit ihren Eltern sprachen? Und wie sträflich würde ich mich jetzt benehmen, wenn ich noch etwas mit der netten Rothaarigen plaudern würde? Nein, diesen Gedanken verwarf ich gleich wieder. Und die Rothaarige hatte ihn auch schon verworfen. Sie blätterte erneut in ihrer Zeitung. Obwohl ich sicher war, dass auch sie gern mit mir geplaudert hätte. Unterwarfen wir Erwachsenen uns nicht längst einer Ordnung, die die Jugend aufgestellt hatte? »Erwachsene: Schnauze halten, bezahlen. Jugendliche: simsen und Erwachsene ignorieren.« Am liebsten hätte ich der Frau zugerufen: »Wissen Sie noch, wie wir uns damals gefreut haben, wenn unsere Eltern mit uns ins Café gingen? Damals hatten wir die Klappe zu halten, wenn die Erwachsenen sich unterhielten! Heute sind wir schon unendlich dankbar, wenn unsere Kinder sich überhaupt noch dazu herablassen, mit uns ins Café zu gehen! Allerdings haben wir wieder die Klappe zu halten!« Ach, was hätte ich mit der Rothaarigen jetzt für eine amüsante Unterhaltung haben können, zumal wir uns offensichtlich sympathisch waren. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, sie WÜRDE schrecklich gern mit mir reden. Wenn da nicht dieser unglaublich verächtliche Blick des Jungen gewesen wäre. Dabei hatte er so ein hübsches Gesicht.
    Also hielt ich tunlichst die Klappe. Die Frau klappte ihre Zeitschrift zu und begann, in ihrem Portemonnaie zu wühlen.
    In diesem Moment kam auch schon Volker die Treppe hoch.
    »Das ging ja schnell!«, sagte ich erfreut und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
    So, jetzt würden alle Leute sehen, welch toller Mann zu uns gehörte. Kurz schielte ich zu der Rothaarigen hinüber, die allerdings gerade zahlte.
    »Die Patientin war nicht da.« Volker tätschelte Fannys blond gelocktes Köpfchen, streifte uns alle drei mit den Lippen und ließ sich aufs gegenüberliegende Sofa fallen.
    »Papa!«, freute sich Paulinchen.
    »Baba, baba!«, machte Fanny. Das konnten wir ihr nicht mehr austreiben. Es sagten halt alle Papa zu Volker. Wie sollten wir ihr erklären, dass ausgerechnet sie es nicht sagen sollte?
    »Hi«, sagte Charlotte, ohne den Kopf zu heben.
    »Die Patientin war nicht da?« Erstaunt stellte ich meine Teetasse ab.
    Der stumme Bengel war auch gerade aufgestanden, wandte uns den Rücken zu und latschte desinteressiert hinter seiner Mutter her, die gerade hastig in ihren Mantel schlüpfte und bereits die Treppe hinuntereilte, ohne sich noch einmal zu uns umzudrehen.
    »Nein. Obwohl wir verabredet waren. Die hat wohl unseren Termin vergessen.«
    »Komm, setz dich erst mal. Was möchtest du trinken?«
    Volker legte seinen Mantel ab und warf ihn über die gerade frei gewordene Stuhllehne, wo eben noch der Junge gesessen hatte.
    »Einen Tee mit Rum. Na, habt ihr Spaß?«
    »Die Mama ist peinlich.«
    »Nein, du blöde Kuh! Ist sie nicht!«
    »Bitte, Kinder. Wir unterhalten uns blendend. Nicht wahr, Fannylein?«
    Fanny brabbelte etwas Zustimmendes. Volker wischte ihr fürsorglich mit der Serviette den Schokoladenmund ab.
    »Ich dachte, die Frau kann gar nicht laufen?«
    »Wieso?« Volker sah mich irritiert an. »Welche Frau?«
    »Na, die Patientin!«
    »Das habe ich nie behauptet. Sie hat nur keinen Aufzug.«
    »Und wie ist sie dann aus dem Haus gekommen?«
    »Herzerl. Zwischendurch geht die sicher mal aus dem Haus. Und wenn es nur hier ins Café ist. Ah, da kommt mein Tee. Haben Sie den Rum vergessen, Fräulein?« Volker rieb sich die Hände. »Ich hab nämlich jetzt Feierabend. Bringen Sie ruhig einen Doppelten.« Dann beugte er sich zu mir und küsste mich. Vor allen Leuten. Mitten auf den Mund.
    Schade, dass die Rothaarige schon weg war.

19
    Mama! Guck mal! Iiih!

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