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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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allerdings nicht aus dem Hörer, sondern aus der Bibliothek. Eines fremden Mannes? Den Hörer noch in der Hand, beugte sich Emerald unter der Treppe hervor und reckte sich in Richtung Tür der Bibliothek, die teilweise offen stand und ihr einen weiten Blick auf den Raum dahinter bot.
    Clovis’ ausgestreckte Beine und Füße ragten in der Nähe des Kamins hervor. Immerhin hatte er schon seine Abendschuhe an, also würde sie ihm nicht den Kopf abreißen müssen. Da, schon wieder dieses Lachen, ein lautes, hohes ha-ha-HA-HA!
    Sie beugte sich noch weiter vor, bis das Telefonkabel sich straffte, während sie gleichzeitig vergeblich versuchte, den Hörer ans Ohr gepresst zu halten, und sah nun auch das zweite Beinpaar im Raum, das dem Besitzer des Lachens gehörte. Dann standen beide Männer auf, wie um ihr zu Gefallen zu sein. Ihr Blick auf die beiden, quer durch die Halle und die teilweise geöffnete Tür des weitläufigen Raums, war nicht perfekt, dennoch ließ der Anblick des fremden Mannes sie alles andere vergessen – Elsie, die Eisenbahn und sogar ihren verflixten Geburtstag.
    Sie sah ihn im Profil; größer als Clovis, das lange Kinn vor- und hochgereckt, um das Lachen auszustoßen. Der Schein des Feuers beleuchtete den unteren Teil seines Gesichts und ließ die tiefrote Seide seiner Weste aufschimmern.
    Eine Weste aus roter Seide? Als Reisebekleidung?
    Seine Haut wirkte in diesem Licht gelblich, seine Finger, die lang waren, besaßen dieselbe ölige Färbung. Verblüfft über die Aura der Hysterie und der Geheimnistuerei, die sowohl von dem geheimnisvollen Fremden als auch von Clovis ausging, zuckte Emerald innerlich zurück, während sie zugleich fasziniert war, sich fast sogar gezwungen fühlte, mehr in Erfahrung zu bringen.
    Leise stellte sie das Telefon auf den Tisch, legte den Hörer daneben und merkte, dass sie sich auf Zehenspitzen auf die beiden zubewegte. Der Rest des Hauses war still, als sie sich der Tür näherte.
    »Was ist so lustig?«, fragte sie auf der Schwelle.
    Clovis sah sie an. Er hielt eine brennende Zigarre in der Hand. Wo hatte er die bloß her?
    »Das ist meine Schwester Emerald«, sagte er mit einer lässig hingeworfenen Geste in ihre Richtung, ein Verhalten, das selbst für ihn ungewohnt unhöflich war. Er spielte sich vor dem Fremden auf, erkannte Emerald, und sie hätte es ihm am liebsten ins Gesicht gesagt.
    Der Fremde sah über die Schulter zu ihr hin; Emerald fand seine Augen zutiefst beunruhigend.
    »Es ist mir ein Vergnügen, Miss Torrington«, sagte er und kam mit einer halben Verbeugung auf sie zu, sein Name allerdings verlor sich im feuchten Stumpen der Zigarre, die er sich in den Mund steckte, um ihr die Hand zu reichen und zu schütteln.
    Als er die Zigarre wieder aus dem Mund nahm, zog sich eine dichte Rauchwolke, immer dünner werdend, zwischen seinen Lippen und dem angeschnittenen Ende der Zigarre hin und senkte sich langsam auf sein Kinn herab. Emerald beobachtete es fasziniert. Schließlich riss sie den Blick verlegen von dem Mann los und sah Clovis fragend an.
    »Zigarren? Schon vor dem Essen?«, sagte sie, und er stieß ein leises Jaulen aus, um sich über sie lustig zu machen. »Sind Sie einer der Passagiere?«, erkundigte sie sich, wieder an den Fremden gewandt, der sich mit der Zunge über die Unterlippe fuhr, wie um den entströmenden Rauch aufzufangen und zu verschlingen.
    »Ja, Emerald, offensichtlich«, sagte Clovis und hätte sich dafür um ein Haar eine Ohrfeige eingefangen.
    Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihren Bruder aus dem Zimmer zu zerren und zu fragen, was das alles zu bedeuten hatte, und der Angst, dieser widerliche Besucher könne sich während ihrer Abwesenheit an den Wertsachen vergreifen. Schließlich tat sie gar nichts und sah ihren Bruder nur verwirrt an.
    »Ich fürchte, unsere Bekanntschaft hat keinen sehr glücklichen Anfang genommen, Miss Torrington«, kam es von dem Fremden. »Ich muss mich entschuldigen und nehme alle Schuld auf mich. Wo habe ich bloß meine Manieren gelassen?«
    Er warf seine Zigarre ins Feuer. Clovis tat es ihm nach und machte ein mannhaft ernstes Gesicht.
    »Ihr Bruder und ich haben uns gerade über etwas sehr Albernes unterhalten, nicht wahr, Clovis? Etwas wirklich sehr Albernes.«
    »Über alle Maßen albern.«
    »Und Sie kamen genau in dem Augenblick herein, als einer von uns eine ganz und gar nicht stubenreine Bemerkung gemacht hatte.« Letzteres wurde in einem spöttischen Ton

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