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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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darauf, dass sie für ihr Großes Unterfangen keinen Mantel oder Ähnliches brauchte, da sie in weiser Voraussicht so viele Unterkleider angezogen hatte. Sie würde es bei jedem Wetter warm haben, und falls es zu irgendwelchen Kalamitäten kommen sollte, war sie zudem gut gepolstert.
    Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen und spähte in die Halle und die Zimmer, die sie durch teils geöffnete Türen sehen konnte.
    Vorsichtig schlich sie weiter nach unten und bekam nicht nur einen fürchterlichen Schreck, sondern fühlte auch ihre Pläne durchkreuzt, als ein lautes Klopfen an der Tür die Stille zerriss. Sie flitzte wieder nach oben und wartete auf die herbeieilenden Schritte, die sich um den Besuch kümmern würden – aber keine Schritte näherten sich. Das Klopfen wurde wiederholt. Wer immer der Dummkopf war, der draußen stand, er kam anscheinend nicht auf die Idee, die Klingel zu benutzen. Es war wirklich zu ärgerlich. Sie vermutete, dass es sich um Farmer John Buchanan handelte, ein wahrer Meister, wenn es darum ging, im unpassendsten Augenblick aufzutauchen, und zudem – selbst in Smudges Augen – ein ziemlicher Langweiler.
    Seufzend trabte sie nach unten, um die Tür selbst zu öffnen, aber schon wurde ein drittes Mal dagegengeklopft, laut und reichlich unverschämt, dachte sie mit kindlicher Kritik, allem Anschein nach mit dem metallenen Griff eines Stocks.
    Sie legte die Hand auf den großen eisernen Knauf und zog die Tür Zoll für Zoll auf.
    Auf der Veranda davor, den Stock erhoben, um erneut zu klopfen, einen Ausdruck eifriger Begeisterung auf dem Gesicht – ein breites Grinsen, um genau zu sein –, stand nicht etwa John Buchanan, sondern ein völlig Unbekannter.
    Er war nur etwa mittelgroß und eher zierlich, trug elegant spitz zulaufende Schuhe, einen lebhaften, munteren Gesichtsausdruck und einen buschigen, energisch gezwirbelten Schnurrbart.
    »Ich fürchte«, rief er, »ich komme ziemlich spät.«
    Smudge wusste nicht, was sie tun sollte. Seine Zähne blitzten, als er an seiner Nase entlang auf sie herabblickte und sie musterte. »Ich nehme an, ich darf eintreten?«
    Smudge trat stumm beiseite und hielt über die Schulter Ausschau nach einem Erwachsenen, der ihr beistehen würde, aber es kam niemand. Nur ein Schwall fremder Stimmen, sicher die der Überlebenden, drang durch die Halle.
    »Es tut mir leid, Unannehmlichkeiten zu bereiten, aber soviel ich weiß, wurde Bescheid gegeben?«
    Smudge blieb immer noch stumm.
    »Ich bin Charlie Traversham-Beechers. Ist die Dame des Hauses vielleicht zu sprechen? Würdest du sie vielleicht – holen?« Wieder entblößte er seine weißen Zähne.
    »Imogen Torrington«, brachte Smudge endlich im Flüsterton hervor. Auf ihrem eigenen Terrain war sie ein durchaus selbstbewusstes Kind, aber das hier war alles andere als ihr Terrain.
    Der Herr hielt ihr die Hand hin. »Wirklich? Sehr angenehm«, sagte er mit gewandtem, leicht näselndem Ton, umschloss ihre Finger mit seinen dick behandschuhten Händen und drückte zu.
    In diesem Augenblick war ein Pfeifen zu hören, und Clovis, der noch an seiner Fliege herumzupfte, kam in makelloser Abendkleidung – im Frack – die Treppe herunter, die Haare geölt, die Bügelfalten seiner Hose messerscharf. Er war das absolut Willkommenste und Brüderlichste, was Smudge sich gewünscht haben könnte. Sie rannte zu ihm.
    »Hallo, wen haben wir denn da?«, erkundigte sich Clovis.
    Der Gentleman trat beflissen vor. »Charlie Traversham-Beechers. Ich glaube, Sie haben mich bereits erwartet.«
    »Falls ja, weiß ich persönlich nichts davon«, gab Clovis liebenswürdig zurück, während Smudge sich hinter ihm versteckte und die Ohren spitzte.
    »Meines Wissens hat die Eisenbahn Ihnen mitgeteilt, dass Sie mit Passagieren rechnen müssen«, erwiderte der Besucher.
    »Passa… Oh! Sie gehören zu dem Unfall?«
    »Richtig.«
    »Wie außergewöhnlich.«
    »Ja, es war ziemlich entsetzlich.«
    Clovis ließ den Blick über Charlie Traversham-Beechers’ äußere Erscheinung wandern. »Wo hat dieser Unfall eigentlich stattgefunden?«
    »Auf der Nebenlinie.«
    »Nach?«
    »In der Nähe von Whorley. Irgendwelche Probleme mit einer Weiche, glaube ich. Der absolute Horror. Eine richtige Entgleisung. Hat man Ihnen das nicht gesagt?«
    »Nicht im Detail. Furchtbar.«
    »Das war es. Aber die meisten wurden bereits versorgt.«
    »Ja, wir haben schon eine ganze Gruppe von Ihnen irgendwo hier …« Clovis sah sich um, als erwartete er, die

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