Der ungeladene Gast
hineingehen?« Und er führte den Weg an, ohne eine Erklärung zur Anwesenheit des neuen Herrn abzugeben.
»Wer um alles in der Welt ist das?«, flüsterte Patience ihrem Bruder ins Ohr.
»Anscheinend ein Freund von Clovis«, antwortete Ernest, wobei er nur den Mundwinkel bewegte.
Patience verdrehte die Augen auf eine Weise, die »Alles sehr ungewöhnlich« bedeutete, und erhielt ein lautloses »Bizarr!« ihres Bruders als Antwort.
Sie hatten den Salon erreicht. Clovis stieß die Tür auf, und die kleine Gruppe trat ein. Die einzige Ausnahme bildete der neue Gast, der lautlos durch den Korridor davonhuschte. Ohne aus dem Schritt zu kommen, öffnete er geräuschlos die Tür des Frühstückszimmers, beugte sich hinein und flüsterte: »Ich tue mein Bestes.« Er tippte sich bedeutungsvoll mit dem Zeigefinger an die Nase, wie er es vorhin Clovis gegenüber getan hatte, machte die Tür wieder zu und trabte zurück, um sich den anderen anzuschließen.
Keine Geräusche gestelzter Fröhlichkeit drangen bis zu Smudge, die Lady die Treppe hinaufführte.
Es hatte einen kniffligen Augenblick gegeben, als das Pony das hohle Dröhnen seiner eigenen Hufe auf dem Holz gehört und erschrocken einen Satz nach hinten gemacht hatte, aber Smudge, der Verzweiflung nahe, hatte ihm gut zugeredet.
»Komm schon«, drängte sie. »Es ist überhaupt nicht weit!« Lady war nach wie vor skeptisch. »Na komm, geh schön die Treppe rauf, Lady. So ist’s brav.«
Und Lady war die Treppe hinaufgegangen, deren Holz, anders als das der Vordertreppe, nicht gewachst und poliert war. Die Vorderhufe fanden die Stufen mit Leichtigkeit, das Hinterteil bewältigte den Anstieg ohne Probleme, das Poltern allerdings war furchtbar. Trotzdem – niemand kam.
Der Treppenabsatz stellte eine neue Herausforderung dar. Die Tür musste offen gehalten werden, damit das Pony durchgehen konnte, und dann mussten sie durch den ganzen langen Flur, vorbei an Zimmer um Zimmer. Wenn die Küchentreppe doch bloß breiter gewesen wäre! Von dort hätten sie es viel näher gehabt bis zu Smudges Zimmer. Sie war inzwischen ganz hibbelig vor Aufregung. Ihre Finger zögerten lange, angstvolle, hassenswerte Sekunden über dem Türknauf. Dann ergriff sie ihn. Ihre Hände waren schweißnass, ihr Mund trocken. Mit einem überlauten Klicken drehte sie den Knauf.
Dahinter war es warm, Lampen brannten den ganzen Korridor entlang und machten ihn so behaglich und heimelig, wie sie ihn noch kaum je gesehen hatte.
Sie wollte die Tür gerade weiter aufmachen, als sie hörte, wie die Tür ihrer Mutter – ihrer Mutter! – geöffnet wurde. Hastig zog sie sie wieder zu.
Sie hörte Charlottes schnelle Schritte, eine weitere Tür – noch näher – und dann, so unverkennbar wie der Hufschlag eines Pferdes, das Geräusch der Toilettenspülung. Hysterie wallte in Smudges Brust auf. Gleich würde sie anfangen zu lachen, würde sich krümmen vor Lachen, würde sterben vor Lachen. Und als sei auch Lady mit dem Geräusch einer gezogenen Kette vertraut, hob sie den Schweif und ließ einen feuchten Haufen grasiger, dampfender Pferdeäpfel genau am Kopf der Treppe auf den Absatz fallen.
»O Lady«, hauchte Smudge, der das Kichern vergangen war. »Das war nicht sehr nett.«
Lady, die ihren Status als Hauspony inzwischen als selbstverständlich hinnahm, bewegte nur gleichgültig die Ohren, während zu hören war, wie Charlotte in ihr Zimmer zurückging. Alles war wieder still.
Smudge machte die Tür weit auf.
»Jetzt oder nie«, flüsterte sie und führte das Pony in den breiten Korridor.
Aus den anderen Zimmern waren keine Geräusche zu hören, keine Stimmen. Es gab nur das gleichmäßige, gedämpfte Poltern der Pferdehufe auf dem Boden. Der süßliche Dunggeruch, der um sie herum in der Luft hing, verlor sich allmählich. Smudge widerstand dem Bedürfnis, Lady zum Trab anzutreiben, da sie fürchtete, die Pferdehufe könnten dann durch die Decke brechen und Putz und Mörtel auf die verängstigten und aufgebrachten Menschen darunter herabrieseln lassen. Wie wütend sie sein würden! Sie stellte sich vor, wie sie erschrocken nach oben blickten und ihr mit der Faust drohten.
Ladys sorgfältig eingeölte Hufe wirkten hier drinnen nicht ganz so sauber wie draußen, aber sie bewegte sich über die Teppiche, als wäre sie seit jeher daran gewöhnt. Smudge führte sie an den Lampen vorbei, vorbei an den düsteren alten Gemälden, am Gästezimmer, am Zimmer ihrer Mutter … sie führte das Pony am
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