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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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hatte sie mit seiner Bemerkung nicht wegschicken wollen, aber sie huschte wie der Blitz davon – so als habe sie etwas Dringendes zu erledigen. Die Hunde rannten hinter ihr her, und er stand allein in der hohen, quadratischen Halle. Vor ihm schwang sich die Treppe nach oben, und in der Stille machte das riesige Feuer sich bemerkbar. Er konnte hören, wie die Flammen über das Holz leckten.
    Wäre Sterne sein Haus, dachte er, würde er sofort elektrische Leitungen verlegen lassen – überall, von ganz oben bis ganz unten. Er würde Licht in all die dunklen Ecken bringen, alles mit elektrischem Strom beleuchten, so wie jedes zivilisierte Gebäude neuerdings taghell beleuchtet wurde. Es würde natürlich bedeuten, hinter die ganzen Wandverkleidungen vordringen zu müssen, aber die ließen sich leicht entfernen, und der knifflige Stuck auch. Schon wollte er hingehen und prüfend dagegenklopfen, um sich ein Bild davon zu machen, in welchem Zustand alles war, als er Frauenschritte auf der Treppe hörte. Einen Augenblick später tauchte Emerald auf.
    Sie kam als schimmernde Lichtgestalt auf ihn zu. Zum zweiten Mal an diesem Tag war er verwirrt und dachte unerklärlicherweise an die bodenlose Polsterbank im Salon, stellte sich vor, wie er unter allgemeinem Gelächter hindurchbrach.
    »Hallo, John. Was für ein Wetter. Hat es Sie schlimm erwischt?«
    »Nein, nicht wirklich …«
    Sie trug seine Kamee. »Haben Sie schon von unserem Abenteuer gehört?«
    »Abenteuer?«
    »Von dem Unglück, meine ich.«
    »Unglück?«
    »Dem Zugunglück.«
    »Guter Gott.«
    »Ja, auf der Nebenlinie, nicht weit von hier.«
    »Hat es Tote gegeben?«
    »Das wissen wir nicht. Aber sie haben einen Teil der Überlebenden hierhergeschickt, und natürlich haben wir gern geholfen, aber die elende Eisenbahn hat immer noch niemanden geschickt, um sie wieder abzuholen, und deshalb sind sie – nun ja, sie sind immer noch hier.«
    John sah sich in der Halle um. »Wo haben Sie sie denn hingesteckt?«
    »Im Augenblick sind sie alle im Frühstückszimmer. Möchten Sie sie sehen?«
    Er zögerte. Mit etwas Derartigem hatte er nicht gerechnet, und er war kein Freund von Überraschungen. »Nun – ja, wahrscheinlich.«
    »Kommen Sie mit.« Sie ging vor durch die Halle. Der Kamm in ihren Haaren schimmerte grün und bernsteinfarben. Er hätte ihn gern berührt.
    Am Frühstückszimmer angekommen, legte sie die Hand auf den Knauf und sah zu ihm hoch.
    »Wenn ich die Tür öffne, fangen sie wahrscheinlich alle an, auf uns einzureden«, sagte sie.
    »Dann lassen wir es eben, wenn Sie nicht wollen.«
    »Die Ärmsten sind sicher völlig erschöpft.«
    Sie machte die Tür auf: Das Zimmer war leer. Keine Menschenseele zu sehen. Nur der Geruch nasser Wollmäntel hing noch in der Luft.
    »Wo können sie bloß sein?«, fragte Emerald.
    John war ebenso perplex wie sie – mehr noch. »Wie viele sind es denn? Kann es sein, dass sie einfach von selbst gegangen sind?«
    »Es sind eine ganze Menge. Und ich weiß nicht.«
    In diesem Moment kam Myrtle – in frischer Schürze und Haube – aus dem Durchgang geschossen, der zur Küche führte, und machte Anstalten, an ihnen vorbeizuflitzen. Sie hielt mehrere Kerzen in den Händen.
    »Myrtle, weißt du, wo die Passagiere abgeblieben sind?«
    Myrtle blieb stehen und vollführte einen hastigen Knicks. »Ja, Miss Em. Mrs Trieves hat sie ins Studierzimmer gesteckt, weil sie ihr ständig in die Quere kamen.«
    Das Studierzimmer ging im hinteren Teil des Hauses von der Halle ab. Es war ein dunkler, nur selten benutzter Raum, der gegenüber dem Frühstückszimmer den Vorteil hatte, weiter von der Küche und der bevorstehenden Party entfernt zu sein.
    »Ich verstehe. Danke. Ich muss mich wirklich darum kümmern, dass sie abgeholt werden.«
    Emerald wirkte so besorgt und abgehetzt, wie er sie noch nie erlebt hatte. Er war an eine lebensprühende Emerald gewöhnt, die er bewunderte, nicht an eine besorgte.
    »Sie tragen meinen Schmuck«, sagte er, um auf wichtigere Dinge zu sprechen zu kommen.
    Ihre Finger berührten die Kamee an ihrem Hals, die in der Mulde ihres Schlüsselbeins ruhte.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«
    Automatisch lächelte sie. »Vielen Dank, John. Kommen Sie, gehen wir zu den anderen.«
    Der Salon war von Farben durchflutet, die die Luft geradezu zu durchtränken schienen. Dunkelorange, Gold, Rosa, Kerzenschimmer und dazu die Gestalten von Rehen, Vögeln und Einhörnern, auf Chintz, Gobelin, Tuch und als

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