Der ungeladene Gast
Holzschnitzerei, sie alle wirkten in der Grandiosität seiner blassen Proportionen fast unwesentlich, schwebend. Die Anwesenden – Patience, Ernest, Clovis und der neu dazugekommene Gentleman, erinnerten an Figuren aus einem Ballett. Sie waren nicht mehr prosaisch, sondern voller Grazie, eins mit dem Haus.
Clovis war damit beschäftigt, ungeschickt einen der Vorhänge vor das Fenster zu ziehen, um die Nacht auszuschließen, unterbrach sein Tun aber, als Emerald und John hereinkamen. Patience, die auf einem Stuhl saß, erhob sich, um sie zu begrüßen. Sie trug Weiß – oder zumindest eine Farbe, die Weiß sehr nahekam –, aber auch ihr Kleid hatte die Farben des Raumes angenommen. Ernest stand in der Nähe eines großen, goldgerahmten Gemäldes. Als er Emerald sah, durchfuhr auch ihn, ebenso wie John, ein schwindelndes Gefühl, und er verschränkte die Hände auf dem Rücken noch fester, wie um sich selbst Halt zu geben. Der Gentleman hatte auf der zerbrochenen Polsterbank Platz genommen und fühlte sich dort, wie es schien, durchaus behaglich, denn wie durch ein Wunder war es ihm gelungen, den kaputten mittleren Teil zu vermeiden. Er sprang auf, als John und Emerald das Zimmer betraten. Sein schwarzer Schnurrbart zuckte erfreut.
»Das Geburtstagskind!«, rief Patience.
»Das hier ist John Buchanan«, übernahm Emerald die Vorstellung. »Clovis, wo ist Mutter?«
Clovis zuckte die Schultern, hob als Gruß an John nachlässig die Hand und fuhr sich dann damit durch die Haare, die daraufhin wirr in die Höhe standen und sich erst in den nächsten Minuten langsam wieder legten.
»Guten Abend, John«, sagte er. »Sind Sie vorhin nach Hause gefahren, oder haben Sie in der Zeit, in der wir uns umgezogen haben, draußen herumgelungert?«
John ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Guten Abend, Clovis«, sagte er umgänglich.
»Du siehst absolut himmlisch aus, Emerald«, kam es von Patience.
»Vielen Dank. John, darf ich Ihnen Miss Patience Sutton vorstellen«, fuhr Emerald fort. »Und ihren Bruder, Ernest Sutton. Ernest, Patience, John Buchanan.«
Alle reichten sich die Hand und nickten oder vollführten eine kleine Verbeugung, zeigten sich mit der Schüchternheit des frühen Abends erfreut über die Bekanntschaft. Alle – mit Ausnahme des zu Gast weilenden Passagiers – waren noch in einem Alter, in dem eine Dinnerparty sich anfühlte wie früher, als sie sich mit den Schuhen ihrer Mütter und den Zylindern ihrer Väter verkleidet und nur so getan hatten, als ob.
»Und das ist … ich muss mich entschuldigen, ich habe Ihren Namen vergessen.«
»Charlie Traversham-Beechers. Sehr erfreut.«
Es war zehn Minuten vor acht. Sie gruppierten sich zu einem lockeren Kreis.
»Charlie ist ein Eindringling«, verkündete Clovis aufgekratzt. »Eigentlich gehört er zu den anderen Passagieren, aber zum Glück habe ich ihn unter ihnen herausgepickt.«
»Das stimmt. Ich entschuldige mich in aller Demut für meine Aufmachung. Meine Abendgarderobe befindet sich in meinem Gepäck, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo das abgeblieben ist.«
»Es muss eine sehr enervierende Erfahrung sein«, sagte Patience mitfühlend und wandte den Blick von den dunklen Haaren ab, die am Ansatz seines am Hals offenen Hemds zu sehen waren.
Charlie brach in fröhliches Gelächter aus, und die anderen fielen in sein Lachen ein, ohne recht zu wissen, wieso eigentlich.
»Eine enervierende Erfahrung!«, lachte er. »Vermutlich ist das auch eine Möglichkeit, die Auswirkungen eines schrecklichen Zugunglücks zu beschreiben, Miss Sutton. Enervierend!«
Patience errötete bis an die Wurzeln ihrer blonden Haare. »Ich meinte das verlorene Gepäck«, sagte sie leise.
»Natürlich, natürlich.«
Ernest trat zu seiner Schwester, blieb neben ihr stehen und bot ihr durch seine Anwesenheit stumme Unterstützung, während der Gentleman fortfuhr: »Ich hatte nicht damit gerechnet, hier ein Haus vorzufinden. Vermutlich hatte ich überhaupt keine Vorstellung, was ich erwarten sollte. Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass der Eisenbahnwaggon, in dem man sitzt, mir nichts, dir nichts aus den Gleisen geworfen wird.«
»Furchtbar … Und dann wurden Sie von den anderen getrennt?«, erkundigte sich Emerald, die Näheres erfahren wollte.
»Ja, ich trottete hinter ihnen her, oder sie hinter mir, und dann – es war wirklich ein Glück, dass ich dieses Haus gefunden habe, muss ich sagen.«
»Für uns auch«, sagte Clovis liebenswürdig,
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