Der ungeladene Gast
allerdings stand er mit dieser Meinung ziemlich allein da.
»Hat der Dienstmann Ihnen den Weg zum Haus beschrieben?«, versuchte Patience, sich nicht vom Thema abbringen zu lassen. (»Der Schaffner «, murmelte Clovis, aber Patience achtete nicht auf ihn.)
»Und hat man Ihnen gesagt, was mit Ihnen allen geschehen soll?«, fügte Emerald hinzu.
»Und waren Sie auch zu Fuß unterwegs? Hat denn niemand von Ihnen das Fuhrwerk und die Kutsche gesehen?«, lautete Ernests logische Frage. Von ihnen allen wirkte er am gelassensten, schien am wenigsten beeinflusst von der bizarren Vitalität des Gentleman.
»Ach, du meine Güte, so viele Fragen. Ich will versuchen, sie der Reihe nach zu beantworten.« Sich einem nach dem anderen zuwendend, deutete er nacheinander auf sie. »Ja, hat er. Nein, man hat uns gar nichts gesagt. Ja, wir mussten alle zu Fuß gehen, und es war verflixt unbequem und weit und breit kein Fahrzeug in Sicht. Diese Schuhe sind für Teppiche und Bewunderung gemacht, nicht dafür, über Lehmwege zu stapfen. Die anderen armen Teufel sind wahrscheinlich eher an Schusters Rappen gewöhnt.«
Damit waren sie um keinen Deut klüger.
In diesem Augenblick war aus einem der oberen Zimmer ein lautes Krachen zu hören. Alle blickten zur Decke, an der die Kronleuchter zitterten.
»Donner oder ein Möbelstück?«, fragte Clovis.
»Du hast doch keinen von ihnen nach oben gelassen, oder?«, fragte Emerald nervös.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wo die Leute sind, Em«, sagte Clovis ohne jede Spur von schlechtem Gewissen. »Ich war bis vor ein paar Minuten mit unserem Freund in der Bibliothek. Mrs Trieves ist für sie verantwortlich. Übrigens, soll ich Ihnen vielleicht einen Kragen und eine Fliege ausleihen? Ich bin sicher, dass ich beides irgendwo finden kann.«
»Ja, natürlich. Daran hätten wir auch schon früher denken können!«, antwortete der Gentleman und lachte erneut.
»Warten Sie. Es dauert nur einen Augenblick«, sagte Clovis und galoppierte aus dem Zimmer, aber Charlie Tramerson-Beamer folgte ihm mit einem schmeichlerischen Feixen.
Es war nicht Lady, die den Frisiertisch umgeworfen hatte, sondern Smudge selbst, als sie sich darauf kniete, um die Ohren des Ponys nachzuzeichnen. Vor Schreck hatte Lady einen Satz nach hinten gemacht und war gegen die Tür geprallt. Diese beiden Geräusche zusammen bildeten den Krach, der unten im Salon zu hören gewesen war. Nun saß Smudge mit weit gespreizten Beinen auf dem Boden und hielt mit einer Hand den schweren Spiegel fest, der gefährlich zwischen umgekipptem Frisiertisch und Boden in der Schwebe hing, während sie mit der anderen die Leine des Ponys umklammerte.
»Braves Mädchen, Lady. Ganz ruhig, ruhig«, sagte sie beschwichtigend, und Lady blieb ganz still stehen, während Smudge den Spiegel vorsichtig aufrichtete, der zum Glück nicht zerbrochen war – Pony und Kind waren nur um Haaresbreite vor sieben Jahren Pech verschont geblieben –, und ihre überall verstreuten Kohlestifte einsammelte.
»Ich muss jetzt gleich nach unten gehen, Lady. Und du bist derweil ein braves Mädchen und wartest schön, bis ich zurückkomme.«
Lady sah aus wie ein Pony, das vielleicht tun würde, was es geheißen wurde, vielleicht aber auch nicht.
In seinem Zimmer kramte Clovis auf der Suche nach etwas Passendem für den Hals seines Freundes im Schrank herum. Währenddessen ging Charlotte in ihrem Zimmer umher, ohne auf das klägliche Miauen zu achten, das aus der Schachtel unter dem Bett drang. Im Salon lächelte Emerald – Rouge auf den Wangen und wieder ganz Herrin ihrer selbst – John Buchanan liebenswürdig an. Der allerdings wandte sich, ohne sie zu beachten, Patience zu.
»Wir kennen uns bereits, Miss Sutton«, sagte er. »Von früher, als wir noch Kinder waren. Das ist inzwischen viele Jahre her, aber ich erinnere mich noch gut an Sie und finde, Sie haben sich überhaupt nicht verändert. Allerdings hatten Sie damals einen anderen Bruder dabei, denn …«, er wandte sich fragend an Ernest, »wir sind uns noch nicht begegnet, nicht wahr?«
»Sie irren sich, wir kennen uns durchaus. Ich bin Ernest«, sagte Ernest.
»Ja, das ist Ernest«, bestätigte Patience.
»Ernest? Hieß so nicht auch der Junge, an den ich mich von damals erinnere?«, fragte John.
»Das war ich. Ich erinnere mich noch gut an Sie, John«, half Ernest ihm auf die Sprünge.
»Merkwürdig«, sagte John stirnrunzelnd. »Ich fürchte, ich erinnere mich überhaupt nicht an
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