Der ungeladene Gast
seinen Namen zu erinnern.
»Elf Jahre, um genau zu sein«, sagte er.
»Nur elf? Ich bin so überrascht, Sie zu sehen. Wie entzückend, dass es Sie ausgerechnet hierher verschlagen hat. Die Schicksalsgöttinnen müssen Sie geleitet haben.« Sie lachte erneut. »Missgünstige, was den Zug betrifft, wohlgesinnte insofern, als Sie dadurch nach Sterne geführt wurden. Ich bin entzückt, dass Sie uns beim Essen Gesellschaft leisten wollen. Das heißt, wenn es meiner Tochter recht ist. Es ist nämlich ihr Geburtstag, müssen Sie wissen.«
Sie bedachte Emerald, die sie in diesem Moment anbetungswürdig fand, mit einem Lächeln.
»Du siehst wunderschön aus, Mutter«, sagte sie.
»Nicht annähernd so schön wie du, mein Liebling. Dein Kleid ist ein absoluter Triumph«, antwortete Charlotte, obwohl sie dabei nicht ihre Tochter ansah, sondern die vier Männer im Raum. »Hallo, Patience. Und willkommen, Edm… Ernest. Ein herzliches Willkommen an alle!« Sie schlenderte zwischen ihnen umher und begrüßte jeden Einzelnen mit großer Offenheit. »Was für ein aufregender Tag es für uns war – natürlich nicht annähernd so aufregend wie für Sie, Mr Traversham-Beechers. Ich nehme an, die arme Mrs Trieves hat zumindest versucht, das Essen anzukündigen? Eventuell sogar mehr als einmal?«
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und Florence Trieves, sehr adrett, von einem Stückchen Lauch in ihren Haaren und einem gehetzten Gesichtsausdruck abgesehen, stand vor ihnen.
»Das Essen ist angerichtet, Mrs Swift«, sagte sie und wollte sich wieder zurückziehen, wurde dabei aber unterbrochen beziehungsweise, als hätte sie einen Schlag erhalten, gewaltsam daran gehindert durch den Anblick des elegant ausstaffierten Besuchers, der sich seinerseits, fast auf Zehenspitzen stehend, bemühte, von ihr bemerkt zu werden. Fast konnte man meinen, er habe, einem Trommelwirbel hinter den Kulissen folgend, Haltung angenommen. Wie erstarrt sah Florence ihn an.
»Wa… wa…«, stotterte sie, löste den Blick dann mühsam von seinem Gesicht und sah ihre Arbeitgeberin an. Das zitternde Stückchen Lauch fiel aus ihren Haaren.
Charlotte hielt sie mit Blicken fest. »Wir haben noch einen weiteren Gast, Mrs Trieves«, verkündete sie gelassen, von allen beobachtet. »Ich glaube, Sie kennen ihn noch nicht?«
Es folgte eine kurze, ausdrucksvolle Stille, in der vieles mitschwang.
»Nein, natürlich nicht. Danke, Ma’am«, sagte Florence und machte abrupt kehrt.
Charlotte drehte sich strahlend zum Zimmer um und zögerte nur ganz kurz, als der Eindringling, Traversham-Beechers, vortrat und ihr seinen Arm anbot. Die anderen wandten sich einander zu und überlegten, wer der Etikette nach wen zum Essen führen musste, und im Schutz der allgemeinen Verwirrung sagte Traversham-Beechers zu Charlotte: »Ich bin so froh, dass du uns Zuflucht gewährst – mir insbesondere.«
Sie bedachte ihn mit einem durchdringenden, ängstlichen Blick. »Habe ich denn eine Wahl?«, murmelte sie, nur für seine Ohren bestimmt.
»Komm«, war alles, was er darauf erwiderte, und er klopfte aufmunternd auf seinen Unterarm.
Sie schob ihre Hand durch seinen Ellbogen, sodass ihre blassen Finger leicht auf seinem schwarzen Ärmel ruhten.
»Geh du bitte voran, Emerald. Mr Buchanan!«, rief sie mit gekünstelter Unbeschwertheit.
John vollführte eine kleine Verbeugung vor Emerald, nahm ihre Hand und zog sie fest unter seinen Arm. Emerald war erleichtert, dass er endlich Notiz von ihr nahm; sie hatte schon angefangen, sich unsichtbar zu fühlen. Ebenfalls erleichtert war sie, dass sie nicht gezwungen war, Ernests Arm zu nehmen, da sich allein beim Gedanken daran, ihn zu berühren, die bloße Haut an ihren Armen, ihrem Dekolleté und ihrem Hals plötzlich noch nackter anfühlte. Es war keine unangenehme Nacktheit, ganz im Gegenteil, aber gerade deswegen sehr aufwühlend. Der Mann entkleidete sie, ohne sie auch nur anzusehen. Johns solide Gegenwart war Schutz, und sie klammerte sich an seinen Unterarm wie an einen Anker.
Da es nun schon zwei Paare gab, blieben Clovis, Patience und Ernest als verlegenes Dreiergespann zurück. Clovis warf Patience einen Blick zu, bei dem es vielen anderen Mädchen angst und bange geworden wäre, aber da er entsprechend der Regeln gesitteten Benehmens keine andere Wahl hatte, trat er auf sie zu und reichte ihr seinen Arm. Sie nahm ihn.
»Clovis«, sagte sie.
»Patience«, antwortete er steif.
Obwohl sie einander nicht ansahen, waren sie sich
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