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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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alarmiert. Clovis, dem ebenso wie den anderen nichts davon auffiel, war einfach nur verwirrt.
    »Ihr Zigarettenetui?«, fragte Patience. »Was soll ich damit?«
    »Sich eine Zigarette nehmen? Sicher nicht, oder etwa doch, Miss Sutton?«
    »Ganz gewiss nicht!«
    »Nein, nein, glätten Sie Ihr Gefieder. Interessieren könnte Sie, was das Zigarettenetui repräsentiert – Sie und Miss Torrington.«
    »Mich?« Emerald war ebenso perplex wie Patience.
    »Gewiss. Als junge Damen auf der Schwelle zu … so vielen Dingen, könnte es Sie vielleicht im Hinblick auf Ihre Bestrebungen interessieren.«
    »Und welche Bestrebungen sollten das sein?«, wollte Emerald trocken wissen.
    »Nun, natürlich das Bestreben, sich einen Partner zu angeln.«
    »Ach so.«
    »Was sonst? Falls Sie, Miss Sutton, nicht von der rudimentären Nonchalance meines jungen Gastgebers eingenommen sind, oder Sie, Miss Torrington, von diesen beiden anderen unerfahrenen Kreaturen«, er nickte in Richtung John und Ernest, »dann suchen Sie vielleicht nach Reife? Dieses Etui ist solide fünfunddreißig Jahre alt. Oder nach Eleganz? Das Etui ist sehr schmal, schmiegt sich unmerklich in die kleinste seidengefütterte Tasche und trägt den Stempel eines erstklassigen Silberschmieds. Oder …« Er richtete den Blick auf Emerald. »Sind Sie vielleicht auf der Suche nach Reichtum?«
    Die Frage hing in der Luft. Clovis hatte das Gefühl, einen Meister bei der Arbeit zu beobachten; John war gegen seinen Willen beeindruckt von der Unverfrorenheit des Burschen; einzig Ernest hielt mit zusammengebissenen Zähnen den Blick auf den Tisch gerichtet und weigerte sich, sich in diese Sache hineinziehen zu lassen. Er hatte das eigenartige Gefühl, dass man sich am besten gegen Traversham-Beechers’ Charme wehren konnte, indem man ihn nicht ansah. Und Charlotte – nun, keiner bemerkte, wie extrem blass sie geworden war. Das Herz rutschte ihr in die Magengrube, ihr wurde schwindlig. Sie erlebte das alles nicht zum ersten Mal.
    »Wenn ich, wie Sie sagen, tatsächlich auf der Suche wäre«, sagte Emerald mit zitternder Stimme, »würde ich, nun ja, würde ich gewiss nichts davon mit Ihnen besprechen – schon gar nicht bei Stint und Appetithäppchen«, kam sie betont zum Schluss.
    »Stint und Appetithäppchen«, wiederholte er mit sinnlicher Stimme. »Sehr hübsch ausgedrückt, sehr hübsch.« Und er lächelte.
    Im Gleichklang, wie ein gut aufeinandereingespieltes Ponygespann, merkten Patience und Emerald zu ihrem Entsetzen und gegen ihren Willen, dass sie sein Lächeln erwiderten. Er blickte von einer zur anderen, genoss seinen Triumph, während seine Finger leicht auf den kleinen, runden, harten Knöpfen seiner Weste herumtrommelten. Emerald schlug die Beine übereinander. Patience rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.
    Clovis spürte die unbehagliche Anziehung zwischen ihnen und fühlte sich verunsichert. Er hatte gehofft zu sehen, wie Patience in Verlegenheit gebracht wurde, aber nicht auf diese Weise. Gleichzeitig jedoch regte sich in ihm unleugbar der Jagdtrieb, auch wenn es ihm nicht gefiel, dieses Gefühl zu haben.
    »Hersehen«, sagte der Fremde schnell, und mit einer kaum merklichen Bewegung war das silberne Etui verschwunden.
    »Wo ist es hin?«, schrie Smudge, die sich nicht beherrschen konnte und aufsprang, bevor sie wieder auf ihren Platz zurückplumpste, das Kätzchen hochriss und es an ihre Brust drückte, als wollte sie sich selbst daran hindern, noch einmal bei Tisch zu sprechen, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.
    Selbst Emerald und Patience hatten erstaunt die Luft angehalten, als das Zigarettenetui plötzlich verschwand. John, Clovis und sogar Ernest lachten ungläubig und in plötzlicher Unschuld; sie tauschten kindliche, freundliche Blicke miteinander.
    Charlotte hatte sich inzwischen gewappnet.
    »Beruhigt euch, Kinder«, sagte sie kühl. »Es ist in seinem Ärmel.«
    »Ach, tatsächlich?«, lächelte der Gentleman und fügte rätselhafterweise hinzu: »Auf diese Weise werden Sie mich nicht aufhalten. Und ich war sicher, es ist …« Er stand auf und griff hinter den kunstvollen Turm von Charlottes Haaren. Ein schneller Schauder durchlief ihren ganzen Körper.
    »Hier!« Und mit großartiger Geste zog er das Etui, das im Kerzenlicht schimmerte, aus ihren Haaren hervor.
    Patience klatschte in die Hände.
    »Noch einmal!«, rief sie. »Ich liebe Zaubertricks.« Sie hatte ihr Unbehagen von vor wenigen Minuten völlig vergessen, so absolut hingerissen war

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