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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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derben Gesängen erfüllt war – hier noch lauter, da sie auch aus dem Frühstückszimmer drangen –, sah sie durch einen Spalt zwischen den Scharnieren, dass der fremde Gentleman ein Glas hochhielt, das zwar randvoll gefüllt war, aber dennoch gewichtslos wirkte. Die Flüssigkeit darin bewegte sich nicht, seine Hand war unnatürlich ruhig.
    Gebannt von der seltsamen Atmosphäre des Zimmers, blieb Smudge ganz still stehen, während die singenden Stimmen aus den Räumen hinter ihr durch die Luft schwebten.
    Nearly fainting with fright, I sank into his arms a sight,
    Went into hysterics but I cried in vain …
    Sie konnte die Gesichter rund um den Tisch nur undeutlich erkennen, spürte aber, wie Entsetzen sich ihrer bemächtigte, denn sie waren absolut leer und ausdruckslos, ganz anders als die Gesichter, die sie kannte. So wie das Haus, das sich plötzlich anfühlte, wie es sich noch nie zuvor angefühlt hatte. Nur der Fremde, Traversham-Beechers, war klar und deutlich zu sehen, und in ihren jungen, wachen Augen wirkte er, als wäre eine Linie um ihn herumgezogen, eine Linie der Dunkelheit, die fast genauso aussah wie die Kohlestriche, die sie erst so kürzlich auf ihre Wand aufgetragen hatte. Ihre Kohlestriche waren real, eine Mischung aus Staub, Fingerspuren, Verputz, sie waren Kunst. Das hier dagegen war unheimlich, gemacht aus nichts, was sie verstehen konnte oder verstehen wollte. Sie sah die Grausamkeit in seinem Gesicht, spürte die Atmosphäre. Er war wie ein Magnet, die Luft schien erfüllt von der Anziehungskraft, die von ihm ausstrahlte.
    Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück und floh. Dieses Mal durch die grüne Tür in die Küche, denn das war der schnellste Weg nach oben, vorbei an Myrtle, die am Spülstein stand und sich nicht einmal umdrehte, als sie an ihr vorbeirannte.
    Im Speisezimmer, nun wieder unbeobachtet von dem Kind, nur wahrgenommen von der Gruppe der anderen Spieler, ergriff Clovis das Wort.
    »Jetzt ich«, sagte er und griff nach dem Glas.
    Ein wenig Portwein schwappte über den Rand. Er leckte ihn ab – er leckte tatsächlich das Glas ab! Dann sah er Patience in die Augen und sagte: »Miss Suttons Gesprächsthemen sind extrem langweilig, und ihr Gesicht ist eher gewöhnlich. Es gibt eine Menge anderer Mädchen, die bedeutend hübscher sind.«
    Patience schnappte nach Luft. Ernest nahm ihre Hand. Falls er je den Wunsch empfunden hätte, handgreiflich zu werden, dann jetzt, da Clovis so boshaft quer über den Tisch hinweg lächelte und seine Schwester totenblass geworden war. Er zuckte hoch, aber Patience hinderte ihn daran. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, doch Patience hielt sie mit ihren eigenen kleinen Händen fest umfangen – ihr Bedürfnis, sich an ihn zu klammern, erwies sich als stärker als sein Wunsch, Clovis die Nase einzuschlagen –, und er blieb an ihrer Seite sitzen. Die anderen sagten kein einziges Wort.
    Clovis spürte fast körperlich, wie zufrieden Charlie mit ihm war, und empfand tief in seinem Inneren eine große Befriedigung. Er hatte ihr die Wahrheit gezeigt, hatte bewiesen, dass er selbst etwas Besseres war, doch ein Teil von ihm – zu klein, um sich durchzusetzen – stand entsetzt abseits. Die junge Dame saß ihm tief gekränkt gegenüber.
    Charlotte nahm das Glas. Sie musste unbedingt auf der Seite der Hunde bleiben, durfte auf keinen Fall unter die staksigen Rehe geraten. Die Grausamkeit, die dieses Gefühl begleitete, war ein unerwarteter Bonus. Sie konnte sehen, dass ihr Sohn von diesem Mädchen eingenommen war, aber sie würde ihn nicht so einfach gehen lassen.
    »Weißt du, wie wir – wir alle – dich nennen? Die unsägliche Patience Sutton«, sagte sie.
    Wieder war der ganze Tisch schockiert; Patience erstarrte geradezu. Emerald stieß immerhin ein »Oh« aus, widersprach aber mit keinem Wort.
    Florence nahm das Glas. Ihre Stimme war laut. »Als ihr Kinder wart …«
    »Aufhören!«, rief Patience unvermittelt und sprang auf. »Aufhören!« Und sie drehte sich um und lief vom Tisch weg. Ernest sprang ebenfalls auf, aber …
    »Ja!«, schrie Charlie. »Das Reh ist von der Herde getrennt! Meute, ihr nach!« Er gab einen durchdringenden Schrei von sich, und ohne einen Gedanken und ohne jeden Grund stießen alle in wilder Hast ihre Stühle zurück, fingen an, wie Hunde auf der Jagd zu heulen und zu kläffen, und setzten hinter Patience her.
    Sie lief zur Tür, als wollte sie in die Halle flüchten, wo die gegrölten Lieder immer lauter und

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