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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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war aschfahl.
    Gegen ihren Willen – schockiert und besorgt, wie sie es alle waren – sahen sie zwischen ihm und Charlotte hin und her, gezwungen, diesem empörenden Labyrinth bis zum Ende zu folgen.
    »Ich?«, wiederholte sie.
    Ernest stopfte Patience ein Kissen in den Rücken. Gemeinsam blieben sie auf der Bank sitzen, vereint, aber von niemandem beachtet, während Clovis, Emerald, Florence und John als widerstrebende Gruppe zu ihren Plätzen am Tisch zurückgingen. Immer noch fast krank vom üblen Geschmack ihrer eigenen Grausamkeit, waren sie noch nicht wieder sie selbst. Doch so wie ein Bild in einem Spiegel uns zwar die Wahrheit zeigt, aber nicht real ist, waren sie zugleich auch zutiefst und intensiv sie selbst. Sie mussten wissen, was zwischen diesem Mann und Charlotte war.
    Charlotte selbst wich vom Tisch zurück, ohne den Blick von Traversham-Beechers’ Gesicht zu lösen.
    »Wie kann man nur so grausam sein«, sagte sie.
    »Das war ich schon immer«, lautete seine Entgegnung. »Hinsetzen.«
    »Nein.«
    »Gott verdamme dich, hinsetzen!«
    Ob die Versammelten bei diesem neuerlichen Verstoß gegen sämtliche gute Sitten die Luft anhielten oder ob der Schock den Sauerstoff aus dem Zimmer saugte, bleibt ein Geheimnis, aber die Kerzenflammen duckten sich an ihre Dochte, und Charlotte Torrington Swift, geborene Thompson, setzte sich, wie er es ihr befohlen hatte.
    »Nein«, sagte sie. »Er wird dich verdammen.«
    »Ich entscheide, wer anfängt!«, sagte Traversham-Beechers unbeeindruckt. »Soll ich mit einem Spatz oder einem Adler anfangen? Mit hohem oder niedrigem Einsatz?«
    »Mach, was du willst«, sagte sie.
    »Also dann – Mrs Trieves – Sie zuerst. Wir sitzen in dieser Sache alle im selben Boot, wie es so schön heißt.«
    Er reichte Florence das Glas. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie nahm es, schleuderte es aber nicht über den Tisch, wie Patience es getan hatte, sondern reichte es in stiller Rebellion einfach weiter.
    »Sie passen also«, mokierte sich Traversham-Beechers.
    Emerald nahm das Glas von Florence entgegen.
    »Sie ist meine Mutter. Was soll ich sagen?«, sagte sie leise und reichte das Glas an Clovis weiter.
    »Ganz richtig.« Clovis hatte furchtbare Angst und konnte sich nur hinter den Worten seiner Schwester verstecken.
    Traversham-Beechers nahm ihm das Glas ungeduldig aus der Hand. »Sie ist eine Hure«!, sagte er mit kalter Stimme.
    »Mein Gott!«, rief Charlotte. »Du bist derart abscheulich!«
    »Nein, du bist abscheulich«, sagte er. »Wie abscheulich ist es denn, den eigenen Ehemann – zwei Ehemänner! – hinters Licht zu führen. Kinder in die Welt zu setzen und zu erwarten, dass sie ein anständiges Leben führen, wenn ihre Seelen mit deiner Lasterhaftigkeit befleckt sind. Die vornehmen Manieren einer Dame anzunehmen, wenn du weniger bist als ein Flittchen, weniger als das armseligste Ding von einem Mädchen, das an einer Straßenecke Blumen verkauft; weniger, in deiner Unmoral, als jede andere Frau hier in diesem Zimmer oder in deinem ganzen großartigen neuen Leben.« Die letzten Worte spie er betont langsam hervor, dann lehnte er sich unvermittelt, schwach vor Erleichterung, leise keuchend, zurück und schien zu schrumpfen.
    Die anderen im Zimmer – Ernest und Patience auf der Bank, die anderen am Tisch – sagten kein Wort, und in diesem verwunderten, verzweifelten Schweigen fing Charlie Traversham-Beechers an zu lachen. Erst war es ein Kichern, ein seltsames, kitzelndes Geräusch, das sich über alle Anwesenden lustig machte. Dann stieg es in hingerissenen, boshaften Abstufungen immer höher an und hörte abrupt wieder auf. Er wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Ich vermute, Sie möchten die ganze Geschichte hören?«, sagte er liebenswürdig zu Clovis.
    Es war eine Frage, die keinem Sohn über seine Mutter gestellt werden sollte, und er wusste keine Antwort.
    Charlotte rührte sich nicht. Ihre Augen waren starr auf den Feind gerichtet.
    »Sprechen Sie«, sagte Emerald.
    »Ich werde mich kurz fassen. Es ist eine abgedroschene Geschichte, und dazu eine ganz gewöhnliche. Wenn es nicht um Ihre Mutter ginge, würde sie Sie wahrscheinlich nicht interessieren. Sie würden sie für zu geschmacklos halten, um sich damit zu beschäftigen. Nun …« Er seufzte. »Wie auch immer. Vielleicht haben Sie von den sorglosen Tagen gehört, die Ihre Mutter in London verbracht hat, bevor sie Ihren Vater kennenlernte? Von ihrer konventionellen Kindheit in Richmond?«
    Emerald

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