Der ungeladene Gast
Zentimeter, über das Dach.
Sekunden vorher war Charlotte, nachdem sie den Schrei ausgestoßen hatte, vom Bett aufgesprungen, um sich in die Ecke neben dem Kleiderschrank zu flüchten, aber Traversham-Beechers duldete nicht, dass sie sich so weit von ihm entfernte, warf sich über das Bett und packte ihr Handgelenk.
»Charlotte«, sagte er, und die Augen in seinem Kopf wurden riesig, wie Tintenflecke, die sich immer weiter ausbreiten. »Charlotte, warum hast du mich verlassen?«
Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht. Er hatte immer schlecht aus dem Mund gerochen, erinnerte sie sich, war aber überrascht, wie viel unangenehmer der Geruch jetzt war. Wie eine verwesende Taube in einer Regenrinne. Sie senkte den Blick auf seine sich nun schuppenden, anscheinend immer schwächer werdenden Finger.
»Was ist mit deinen Händen?«
»Es ist …« Er betrachtete sie, aber bevor er fortfahren konnte, hämmerte John gegen die Tür und schrie sein: »Was ist da drin los?«
Charlotte löste ihr Handgelenk langsam aus dem Griff des Unholds, der, immer blasser werdend, seine sich auflösenden Fingernägel und weicher werdenden Finger betrachtete, durchquerte das Zimmer auf wackligen Beinen und öffnete die Tür.
John, Clovis, Emerald, Ernest, Patience und Florence stürzten ins Zimmer. Charlotte warf sich unverzüglich in Clovis’ Arme.
Traversham-Beechers drehte sich zu ihnen um und lächelte leise.
»Ihr seid gekommen«, sagte er traurig überrascht.
Die übernatürliche Energie, die er für seine böse Verwandlungsschau gebraucht hatte, schien ihn ermüdet zu haben. Jedenfalls strahlte er nicht mehr diese unglaubliche Kraft aus, die er noch vor wenigen Stunden an den Tag gelegt hatte.
»Was haben Sie im Zimmer meiner Mutter zu suchen?«, herrschte Emerald ihn an. »Gehen Sie! Auf der Stelle.«
Alle starrten Traversham-Beechers an, der sich nicht vom Fußende des Betts wegbewegt hatte.
»Ihr kommt ihr zu Hilfe?«, murmelte er, ziemlich tonlos. »Dieser Person?«
Aber es gab keinen Grund, darauf zu antworten, da alle Anwesenden genau das getan hatten und sich nun mit familiärer, rechtschaffener Empörung auf den Schurken zubewegten, der am Bettpfosten stand. Allerdings ließ er sich nicht so leicht einschüchtern.
»Ihr könnt mir nichts anhaben«, sagte er. »Ich bin nicht wie diese anderen, erbärmlichen Opfer. Die glauben, ich hätte mich an ihre Rockschöße gehängt. Dabei hängen sie an meinen.«
»Was soll denn das bedeuten?«, fragte Emerald, gegen ihren Willen interessiert.
»Meinen Sie etwa, die wollten hierherkommen?«, antwortete er voller Verachtung. »Sie wissen nichts von Ihnen, nichts von ihr …« Dabei deutete er auf Charlotte, die, immer noch an der offenen Tür, allmählich wieder zu sich kam. »Die Ärmsten, sie hätten sich in aller Stille von ihren Genickbrüchen und ihren zerschmetterten kleinen Körpern weggestohlen, aber mein Anliegen, mein Hunger, mein Begehren, hat sie hierhergeführt, hat uns allen diese …«
»Diese?«, wiederholte Ernest.
»Diese?«, fragte Patience.
»… diese eine, letzte Gelegenheit geboten. Unsere Körper noch länger zu bewohnen. Und sie wissen ja selbst, wie sehr sie es genossen haben. Schließlich sind sie, trotz all ihrer Klagen, noch einmal satt geworden. Man weiß die Funktionen des Körpers, so niedrig sie auch sein mögen, erst dann wirklich zu schätzen, wenn sie …« – er blickte traurig auf seine schlaffen Finger, zupfte eine Hautschuppe ab, ließ einen nutzlosen Fingernagel auf den blumengemusterten Teppich fallen – »…vorbei sind.« Dann hob er den Kopf, wachsam wie eine Ratte. »Fast vorbei, aber noch nicht ganz. Noch habe ich genug Kraft in mir. Ich lasse mich nicht wegschicken.«
»Hier oben bleiben Sie jedenfalls nicht«, sagte Clovis drohend.
»Ich sage doch, ich lasse mich nicht wegschicken.«
»Ach nein?«, sagte Emerald.
»Nein!«, rief Charlie Traversham-Beechers, aber sein Gesicht war, wie das der anderen Reisenden, von denen er sich hatte distanzieren wollen, leichenblass geworden, hatte eine fahle, gelbliche Farbe angenommen.
Er fischte die Abendhandschuhe aus seiner Tasche und fing an, sie überzustreifen. Allerdings schienen sie ihm Schwierigkeiten zu bereiten, als wären seine Finger nicht kräftig genug, sich in die engen, weißen Öffnungen zu zwängen. Daraufhin versuchte er, einen Finger der einen Hand mit den Fingern der anderen in den Handschuh hineinzustopfen, aber er knickte um. Es war, als versuchte man,
Weitere Kostenlose Bücher