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Der ungeladene Gast

Der ungeladene Gast

Titel: Der ungeladene Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jones
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einen Handschuh über die weichen Gelenke eines gekochten Hühnchens zu streifen.
    Genau da stieß Emerald ein Bellen aus.
    Die anderen drehten sich, für einen Moment völlig frappiert, zu ihr um. Dann fing auch Clovis an zu bellen. Einen Augenblick später schloss sich Ernest mit dem dumpfen, volltönenden Grollen eines Bluthunds an, dann Patience mit dem hohen Kläffen eines Yorkshireterriers. Bald war die ganze Gruppe vereint in einer Kaskade des Gebells. Selbst Charlotte gab ein tollwütiges Gemisch aus Grollen und Kläffen von sich. Charlie Traversham-Beechers’ Augen wurden groß, seine Pupillen huschten nervös zwischen ihnen allen hin und her. Einen Moment später begann er, attackiert von dem Lärm, langsam und wie gegen seinen Willen zurückzuweichen, immer noch mit den Abendhandschuhen beschäftigt. Einer davon fiel zu Boden. Das Bellen wurde lauter, frenetischer.
    »Aufhören!«, rief er. »Das gehört nicht zum Spiel! Es verstößt gegen die Regeln!«
    Aber sie hörten nicht auf, sondern machten weiter, alle sieben – Emerald, Clovis, Charlotte, John, Ernest, Patience und Florence. Als Meute, sich in Raserei hineinbellend, trieben sie ihn zum Fenster. Charlottes Geheul wurde immer lauter, sie war wie ein Wolf, der ein noch feuchtes kleines Lämmchen reißt – wenn sie schon ein Hund sein musste, dann zumindest ein wilder.
    Zurückweichend schien Traversham-Beechers zu schrumpfen. »Aufhören! Aufhören!«, rief er.
    Rachsüchtig bellten sie ihren Hass aus sich heraus, kläfften ihr Missvergnügen und ihren Spott hervor, zwangen den nun ängstlichen, bedrängten, geschwächten Schurken immer näher an das große Erkerfenster, dessen vom Fußboden bis zur Decke reichendes Schiebefenster auf den geschwungenen Balkon sechs Meter über der Auffahrt hinausging.
    Sie grollten, sie heulten, sie schnappten mit den Kiefern, und er, die schlaffen Finger seiner teils behandschuhten Hand vor sich haltend, taumelte rücklings gegen das Glas. Die Scheiben waren groß, aber nicht so groß, dass sie zerbrochen wären, als er gegen sie taumelte, und er wirbelte, von der gesteigerten Lautstärke der wahnsinnig gewordenen Hunde verunsichert, herum, bückte sich, schob mit einem letzten Aufbegehren die Finger in die Griffe, stieß das Fenster hoch und öffnete es so weit es ging. Er schob es hoch, hoch über seinen Kopf und taumelte – nicht etwa in die leere Luft, sondern, in einem verworrenen, stolpernden, ihn aus dem Gleichgewicht bringenden Zusammenstoß, mitten hinein in die erschrockene Smudge, die sich genau in diesem Augenblick von der Regenrinne herabließ.
    Das Bellen hörte abrupt auf. Nur Smudges erschrockenes Quietschen durchbrach die plötzliche Stille.
    Nachdem er sich, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, unwillkürlich an Smudge festgehalten hatte, machte der Schurke sich nun katastrophalerweise sein Glück zunutze und hielt das Kind fest, drückte es gegen die niedrige, schwache Balustrade, die nicht dazu gemacht war, sich dagegenzulehnen.
    »Hört augenblicklich auf!«, schrie er, völlig überflüssigerweise. Denn beim Anblick von Smudge hatten sie ihre Attacke natürlich sofort eingestellt und waren jetzt nur noch um ihr Wohlergehen besorgt.
    Traversham-Beechers war zu Lebzeiten kein gewalttätiger Mann gewesen; nun jedoch gähnte vor ihm der Eingang in die Ewigkeit. Seine Demütigung und seine Wut steigerten sich ins Unermessliche, während er zwischen Menschlichkeit und dem unbändigen Impuls, das kleine Mädchen über den Balkon in den sicheren Tod zu kippen, in der Schwebe verharrte.
    »Mutter!«, schrie Smudge, die in höchster Not alle Bindungen bis auf die wichtigste vergaß.
    Ganz kühl, ohne eine Spur des Entsetzens, das allen anderen Anwesenden so deutlich ins Gesicht geschrieben stand, machte Charlotte einen Schritt auf ihn zu.
    »Was hast du vor, Charlie?«, sagte sie, absolut ruhig. »Willst du deine eigene Tochter ermorden?«
    Der Schurke hatte die eine Hand um den Hals des Kindes gelegt, die andere hinter ihre Beine, wie um sie über die Brüstung zu heben. Beim scharfen Atemholen aller Anwesenden, das auf diese erstaunliche Frage folgte, ließ er die Hände sinken, und Smudge drehte sich weg, machte sich frei und lief zu ihrer Mutter.
    Traversham-Beechers fasste sich wieder.
    »Was soll das heißen?«, fragte er, vollkommen aus der Fassung gebracht, und fügte dann zusammenschaudernd hinzu: »Whiteleys?«
    »Ihr alle – lasst uns bitte allein«, sagte Charlotte mit fester

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