Der ungezähmte Highlander
Kester machte zwar Fortschritte und zeigte auch einiges Geschick, mit dem er sich in Zukunft als wertvoll erweisen könnte, aber jetzt war er ein bartloser Junge, der zu oft stolperte. Und der arme Sir Archie? Seufzend dachte sie daran, dass er geschickt war und erfahren, doch wenn sie keine Möglichkeit fand, ihm zu helfen, die Welt nicht mehr nur verschwommen wahrzunehmen, war er für seine Verbündeten ebenso gefährlich wie für seine Feinde.
»Womit kann ich Euch helfen?«, fragte Malcolm.
»Mit Auskünften«, erwiderte Liam, und begann sogleich, Malcolm über die Verteidigungsanlagen von Ardgleann und die Stärke von Raufs Burghut auszufragen.
Als Keira den Männern zuhörte, bekam sie es mit der Angst zu tun, doch sie bemühte sich, sie rasch zu unterdrücken. Seitdem Rauf Moubray Ardgleann an sich gerissen hatte, hatte er die Abwehr mehrmals verstärkt. Offenbar wusste der Mann genau, wo die Schwachstellen lagen, die ein Feind ausnützen konnte. Es wunderte Keira nicht, dass Rauf als Erstes alle versteckten Ausgänge in der Ringmauer hatte verschließen lassen. Offenbar gab es nur zwei Möglichkeiten, Ardgleann zu nehmen, entweder über die hohen Mauern oder direkt durch das Tor. Beides würde die Angreifer viele Männer kosten, tote und verwundete. Am liebsten hätte Keira das Ganze unterbunden, doch sie wusste, dass das nicht möglich war.
Ihre Schuldgefühle glichen etwas Lebendigem, das sich in ihrem Innneren wand. Wenn sie früher gekommen wäre, säße Rauf nicht so sicher hinter den Mauern vor Ardgleann, der arme Malcolm wäre nicht verstümmelt worden und die Frauen von Ardgleann würden nicht so schrecklich leiden. Egal, wie viele Gründe sie sich vor Augen führte, es war vor allem ihre Angst gewesen, die sie so lange im Kloster gehalten hatte.
Bei dem Versuch, den bitteren Geschmack des Versagens und der Feigheit loszuwerden, begutachtete sie Malcolms Hand und ergriff sie dann. Er zuckte leicht zusammen, doch Liam beanspruchte seine Aufmerksamkeit. Keira wusste, dass Duncan Malcolm von ihren Gaben erzählt hatte, doch sie vermutete, dass Malcolm seine Zweifel, ja, vielleicht sogar Angst hatte. Doch im Moment schien er bereit, sie gewähren zu lassen, und Keira nutzte die Gelegenheit.
Erst als sie Malcolms Hand losließ und die Augen öffnete, merkte Keira, dass die Männer zu reden aufgehört hatten. Malcolm starrte sie mit großen Augen an, Liam hatte die Hand auf Malcolms Unterarm gelegt und hielt ihn fest. Sie war so tief in Malcolms Schmerzen eingetaucht und in ihrem Bemühen, das Ausmaß seiner Verletzungen abzuschätzen, dass sie nicht einmal bemerkt hatte, dass er versucht hatte, sich ihrem Griff zu entziehen.
»Habt Ihr etwas Brot, Honig und Apfelwein?«, fragte Liam, als er merkte, dass Keira ein wenig schwankte und sich an der Tischkante festhielt.
»Aye.« Malcolm wollte sich erheben, doch Liam war schon aufgesprungen und hielt ihn zurück.
»Nay, es ist besser, wenn Ihr sitzen bleibt. Sagt mir, wo ich die Sachen finde.«
Rasch stellte er Brot, Honig und Apfelwein vor Keira hin und drängte auch Malcolm leise, sich etwas zu nehmen. Dann achtete er nicht weiter auf ihn und half Keira flüsternd, sich kaltes Wasser vorzustellen und den Schmerz wegzuspülen, der nun in ihrer Hand saß. Ohne auf ihren schwachen Einspruch zu hören, setzte er sich neben sie, zog sie auf seinen Schoß und drückte sie an sich. Es dauerte nicht lange, bis sie sich an ihn schmiegte und in einen tiefen Schlaf fiel.
»Duncan hatte also recht«, sagte Malcolm leise und starrte auf seine Hand. »Sie hat heilende Hände. Duncan war sehr froh darüber.«
»Aye.« Liam drückte gedankenverloren einen Kuss auf Keiras Scheitel. »Aber sie macht das nicht sehr oft, und wenn, kommt es sie teuer zu stehen, wie Ihr seht.« Er blickte auf Malcolms Hand. »Etwa einen Tag, vielleicht auch ein wenig länger seid Ihr von Euren Schmerzen befreit, auch wenn Eure Hand nicht geheilt ist.«
»Ich weiß, aber schon eine Pause von den Schmerzen, egal wie kurz, ist ein großes Geschenk.«
»Wenn sie wieder aufwacht, ob hier oder später im Lager, wird sie Euch wahrscheinlich auch sagen können, ob Hoffnung besteht, Eure Hand wieder einzurichten.«
»Sie hat den Schaden unter der Haut gespürt?«
»Aye, auch wenn ich nicht begreife, wie sie das macht. Aber warum war Duncan eigentlich so erfreut über ihre Gabe?« Liam fragte sich, ob Malcolm die traurige Geschichte von Keiras gescheiterter Ehe kannte.
»Er hat gehofft,
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