Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
an Erich Van Veeteren. Der musste ungefähr so alt wie Bau gewesen sein und sie selber. Vielleicht einige Jahre jünger, sie hatte sich das noch nie überlegt.
Und die anderen?
Vera Miller war einunddreißig geworden, Wim Felders hatte es nur bis sechzehn geschafft.
Wenn man den engen Horizont der guten Nachbarschaft überschritt, dann änderten sich die Vorzeichen sehr schnell.
Reinhart wurde davon geweckt, dass Joanna an seiner Unterlippe zog. Sie saß auf seinem Bauch und lächelte selig.
»Papa schläft«, sagte sie. »Papa wecken.«
Er hob sie mit ausgestreckten Armen hoch. Sie schrie vor Begeisterung, und ein Speichelstrahl traf ihn im Gesicht.
Gütiger Gott, dachte er. Das ist wunderbar. Es ist sechs Uhr morgens, und das Leben ist die pure Wonne.
Er fragte sich, warum es im Zimmer so hell war, doch dann fiel ihm ein, dass seine Tochter gerade gelernt hatte, auf Knöpfe zu drücken, und dass sie diese Fertigkeit nun trainieren wollte. Er legte sie neben Winnifred und stand auf. Stellte fest, dass jede Lampe in der ganzen Wohnung brannte und knipste eine nach der anderen aus. Joanna lief plappernd hinter ihm her und erzählte etwas, das mit Bären zu tun hatte. Oder vielleicht auch mit Hühnern. Sie hatte einen Schnuller im Mund und war nur schwer zu verstehen. Er ging mit ihr in die Küche und machte Frühstück.
Dabei fiel ihm ein, was er geträumt hatte. Oder was irgendwann nachts zwischen Schlafen und Wachen in seinem Kopf aufgetaucht war.
Sie hatten vergessen, Keller zur Fahndung auszuschreiben.
Verdammt, dachte er. Setzte Joanna in den Kindersessel. Stellte einen Teller mit zerquetschter Banane und Joghurt vor sie hin und ging dann ins Arbeitszimmer, um die Polizei anzurufen.
Er brauchte eine Weile, um alle Details zu klären, aber schließlich schien Klempje, der gerade Dienst hatte, begriffen zu haben. Die Meldung würde sofort herausgeschickt werden, das versprach er auf Ehre und Gewissen.
Ich weiß nicht, ob du auch nur eins von beiden hast, dachte Reinhart, bedankte sich aber trotzdem und legte auf.
Schlampig, dachte er dann. Wie zum Teufel kann man so etwas vergessen?
Zwei Stunden später war er bereit, um zur Arbeit zu fahren. Winnifred war eben erst aufgestanden, für ihn sah sie aus wie
eine ausgeruhte Göttin, und er spielte kurz mit dem Gedanken, noch eine Weile zu Hause zu bleiben und sie zu lieben. Im Prinzip wäre das nicht unmöglich. Joanna musste ein paar Stunden schlafen, und die Kinderfrau würde erst nachmittags kommen.
Aber dann fiel ihm ein, was Sache war. Er öffnete den Morgenrock seiner Frau und umarmte sie. Sie biss ihn leicht in den Hals. Er biss zurück. Das musste reichen. Er zog seinen Mantel an.
»Kannst du dir wirklich Urlaub nehmen?«, fragte sie, als er in der Tür stand.
»Nie ma problemu«, sagte Reinhart. »Das ist Polnisch und bedeutet, dass wir in drei Tagen fertig sein werden. In spätestens drei Tagen.«
In dieser Hinsicht betrog Kommissar Reinhart sich ein wenig, aber das passierte ihm nicht zum ersten Mal. Hauptsache war, dass Winnifred das nicht tat.
Nachdem Moreno ausführlich über Wim Felders’ Unfall berichtet hatte, rief Reinhart Oscar Smaage an, mit dem er am Tag zuvor gesprochen hatte. Smaage arbeitete als Nachrichtenredakteur im Telegraaf und war nicht sonderlich schwer zu erreichen.
»Eins habe ich gestern vergessen«, erklärte Reinhart. »Was Clausen betrifft, meine ich. Ich wollte wissen, ob Sie möglicherweise eins von Ihren Treffen am ...«
Er winkte Moreno, und die reichte ihm einen Zettel mit dem fraglichen Datum.
». . . am 5. November abgehalten haben? Mit den Engeln, meine ich. Es war ein Donnerstag. Können Sie mir weiterhelfen?«
»Einen Moment«, antwortete Redakteur Smaage kurz, und Reinhart hörte ihn blättern. Die Chancen stehen eins zu zehn, kalkulierte er derweil in aller Eile. Höchstens. Doch er wusste, dass er sofort darauf setzen würde.
»Das stimmt«, sagte Smaage. »Donnerstag, der 5. November. Wir saßen bei ten Bosch. Alle Brüder waren da, netter Abend ... wieso fragen Sie?«
»Ich weiß, dass das sehr viel verlangt ist«, sagte Reinhart. »Aber wir wüssten gern, wann Clausen nach Hause gefahren ist. So ungefähr, zumindest.«
Smaage lachte.
»Was zum Henker?«, fragte er. »Nein, das weiß ich wirklich nicht mehr. Halb zwölf, zwölf, schätze ich, wir machen nie länger. Ich nehme an, es wäre keine gute Idee, zu fragen, warum Sie ...«
»Ganz recht«, fiel Reinhart ihm ins Wort.
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