Der Ungnädige
Hinweise auf eine Verbindung. «
» Ja, vielleicht ist es ein Fehler. Oder aber, und das erscheint mir wahrscheinlicher, Patricia wurde von derselben Person entführt wie Cheyenne. Immerhin haben wir es mit zwei weiblichen Vermissten zu tun. Das könnte auf ein Tatmuster hindeuten. «
» Kann schon sein « , antwortete er, klang aber, als hätte er Zweifel.
» Wollen Sie den Fall wieder aufnehmen, jetzt wo ihre DNA wieder aufgetaucht ist? «
Pause. Ich konnte förmlich hören, wie es in seinem Hirn arbeitete. » Sie sind ja offenbar schon dabei. «
» Ich muss Kontakt zu den Eltern aufnehmen. «
» Das werden Sie per Telefon erledigen müssen. Sie wohnen jetzt in der Toskana. «
» Dann sind sie wohl Italiener? «
» Ja, sie stammen von dort. Aber Patricia ist hier geboren. Sie ist ein Einzelkind « , bemerkte Rai beiläufig und schien sich gar nicht bewusst zu sein, wie viel schwerer damit ihr Verschwinden wog. » Ich gebe Ihnen die Kontaktdaten der Farinellis. Die werden sich über Ihren Anruf bestimmt freuen. «
» Davon gehe ich aus « , erwiderte ich knapp und verzichtete auf weitere Höflichkeiten, da sie ohnehin ins Leere gingen. Dann notierte ich mir die Festnetz- und Mobilnummer der Farinellis und hoffte, dass sie gut genug Englisch sprachen, um meine Fragen zu beantworten. » Haben Sie noch Unterlagen da, die Sie uns zur Verfügung stellen können? «
» Ich werde nachsehen. « Wenn mir mal danach ist.
Seufzend legte ich auf und sammelte mich für den Anruf bei Patricias Eltern. Ich wusste nicht genau, was schlimmer war– ihre Hoffnung zu wecken, dass sie vielleicht noch am Leben war, oder ihnen mitzuteilen, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen möglicherweise bewahrheiten könnten.
» Was ist denn los? «
Ich lehnte an der Arbeitsfläche in unserer kleinen schmuddeligen Büroküche und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Als ich aufschaute, sah ich Liv in der Tür stehen.
» Ich hab irgendwas zum Dagegentreten gesucht und bin hier gelandet. « Ich ließ den Kopf wieder sinken, wohl wissend, dass meine Augen rote Ränder hatten und ihr das nicht entgangen war.
» Und, was gefunden? «
» Die Delle da am Kühlschrank ist von mir. « Sie kam mit klappernden Absätzen näher und besah sich den Fall.
» Ui. Tun die Zehen sehr weh? «
» Ja. «
» Darf ich fragen, was dem Kühlschrank den Tritt eingebracht hat? «
» Er stand stellvertretend für die aufgeblasenen, arroganten Arschlöcher, denen das Leben einer Frau total unwichtig ist. «
» Oh-oh. « Liv nahm den Wasserkocher und füllte ihn. » Darauf brauch ich erst mal ’nen Tee. «
» Kannst du mir auch einen machen? « Ich richtete mich auf und versuchte meine Haare wieder halbwegs in Ordnung zu bringen. Was nicht so gut klappte, weil sich meine Finger darin verfingen. » Eigentlich hätte ich wohl was Stärkeres nötig als Tee, und das sage ich nicht oft. «
» Ich nehme mal an, dass dich die Sache mit Patricia Farinelli so mitnimmt? «
» Mich nimmt vor allem dieser überflüssige Heini in Stoke Newington mit, der es nicht für nötig gehalten hat, ihr Verschwinden weiter zu untersuchen, obwohl ihre Eltern felsenfest davon überzeugt waren, dass ihr was passiert ist. Aber natürlich wusste Mister Rai das besser als ihre nächsten Angehörigen. Nach einem Blick in seine Kristallkugel kam er zu dem Schluss, dass sie wohlauf und in Sicherheit ist und er keinen Finger krumm zu machen braucht. Damit hat er die Akte zugeklappt und keinen weiteren Gedanken an sie verschwendet. «
» Also war er keine große Hilfe. «
» Jedenfalls nicht für mich und die Farinellis. « Ich reichte Liv zwei Teebeutel und sah zu, wie sie diese in den Teetassen versenkte. » Bei meinem Anruf habe ich mit Patricias Mutter gesprochen. Kaum hatte ich mich vorgestellt, ist sie in Tränen ausgebrochen. Wahrscheinlich hat sie gedacht, dass ich anrufe, um ihr zu sagen, dass wir Patricias Leiche gefunden haben. Und als ich das verneint hab, dachte sie natürlich sofort, wir hätten sie lebend gefunden. Sie war also erst total verzweifelt, dann außer sich vor Freude, die aber gleich wieder dahin war– und das alles innerhalb weniger Minuten. «
» Bei Vermissten ist es immer besonders schwer für die Familien. «
» Vor allem, wenn man sie überhaupt nicht informiert. Sie leben in der Vorstellung, dass jemand versucht, ihre geliebte Tochter zu finden, und dabei rührt kein Mensch auch nur einen Finger. «
» Was war denn seine Ausrede dafür, dass
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