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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
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wir nicht mehr dieselben. Ich habe nicht gesagt, dass ich die Sprache kenne, weil ich wusste, dass Sie mich fragen würden, woran ich sie erkannt habe. Entweder hätte ich lügen müssen, oder Sie hätten meine wahre Herkunft erfahren. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, zusehen zu müssen, wie dieser Vorhang sich über meine Beziehung zu Ihnen senkt.«
    »Azrhan, sehen Sie mich mal an!«, forderte sie.
    Er hob zögernd den Kopf.
    »Was sehen Sie?«
    Er antwortete nicht, blickte sie aber weiter an.
    »Also?«, hakte sie ungeduldig nach.
    Er versuchte zu lächeln. »Ich sehe, dass Sie stinksauer auf mich sind.«
    »Irgendwelche ›Vorhänge‹?«
    »Nein«, sagte er und lachte nervös.
    »Und wenn Sie in diesen meinen grünen Augen auch niemals so etwas wie Vorhänge runtergehen sehen wollen, dann lügen Sie mich bloß niemals wieder an, verstanden?«
    »Ja, Ma'am!«, antwortete er, und ein neues Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
    »Aber warum kommen Sie überhaupt mitten in der Nacht hierher, um zu telefonieren?«
    Das Lächeln verschwand. »Der Zeitunterschied«, antwortete er schnell. »Mitternacht hier ist die beste Zeit, um meinen Vater in Kuwait zu erreichen. Weil ich wusste, dass er und ich uns wahrscheinlich wieder streiten würden, wollte ich nicht in meiner Wohnung telefonieren und meine Verlobte wecken.«
    Sie sah ihn noch einmal direkt an. Seine Augen zuckten kaum merklich zur Seite, dann hielt er ihrem Blick stand.
    »Okay, dann bereiten wir uns jetzt auf die Morgenschicht vor«, sagte sie ruhig.
    Nachdem er ihr Büro verlassen hatte, hatte sie ein ungutes Gefühl in Bezug auf ihre Begegnung. Alles, was er gesagt hatte, klang sehr überzeugend, und Gott wusste, wie gern sie ihm glauben wollte. Aber ganz besonders störte es sie, wie sie so lange so eng mit ihm hatte zusammenarbeiten können, ohne jemals etwas von diesen tiefen Ressentiments zu spüren, die er empfand. Hatte sie sich unabsichtlich rassistisch verhalten und nicht bemerkt, wie er die Dinge sah, weil sie es vorzog, sie nicht zu sehen? Oder wusste sie nichts von seiner Wut, weil er es vorgezogen hatte, sie vor ihr zu verbergen, um weiter gut mit ihr zusammenarbeiten zu können? Das wäre verständlich, sogar sehr anständig. Aber konnte es sein, dass er so viel von sich selbst auch aus unheilvolleren Gründen vor ihr verborgen hatte?
    Angetrieben von ihrer Müdigkeit und von ihrem verzweifelten Wunsch, herauszubekommen, wer ihr den Tod wünschen könnte, und völlig ohne Idee, wie sie die Antworten erschließen sollte, die sich in diesen unbekannten DNA-Abschnitten verbargen, erlaubte sie es ihren eigenen, verborgenen Vorhängen, sich zu senken und das Undenkbare über ihn zu denken. Könnte er eine Rolle bei dem spielen, was in Rodez und Oahu vor sich ging? War ihre berufliche Geistesverwandtschaft von Anfang an eine sorgfältig inszenierte Täuschung gewesen? Hatte er sich vielleicht tatsächlich an sie herangemacht, um im Auge zu behalten, was sie tat? Wie Eiter aus einem Geschwür quoll der Verfolgungswahn ungehindert aus ihrem Geist, bis sie es sogar verdächtig fand, dass er sie nicht nach Honolulu begleitet hatte. Hatte er abgelehnt, weil er mit jenen Männern in Kontakt stand und wusste, dass sie sie umbringen wollten? Plötzlich wurde ihr schlecht, im Gedanken, dass sie diese Frage überhaupt gestellt hatte.
    Nein! Verdammt noch mal! Ich werde mir nicht erlauben, so etwas zu denken.
    Aber sie hatte schon ›so etwas‹ gedacht. Und es hatte die Art verändert, wie sie ihn sah. Sie schämte sich und vermied es, ihn anzusehen. Wenn sich doch unabsichtlich ihre Blicke trafen, erblickte sie eine tiefe, undurchdringliche Traurigkeit, die ihr fast das Herz brach.
    Verdammt!, fluchte sie still und verabscheute sich selbst. Verdammt! Verdammt! Verdammt!
    Freitag, 9. Juni, 11.46 Uhr
    Er fuhr an den Straßenrand und hielt unter einer allein stehenden Eiche. In der Mittagssonne, die von einem hohen, knallblauen Himmel schien, warf sie einen riesigen Schatten mit tanzenden Lichtflecken. Von ihm bis zum Horizont erstreckte sich ein mehrere Meilen langes Asphaltband zwischen zwei Feldern mit jungem Mais, dessen frische Triebe etwa einen halben Meter hoch waren. In etwa 800 Meter Entfernung konnte Steele die Anlage von Agrenomics erkennen. Die Oase aus baumbestandenen Rasenflächen, die das lang gestreckte, flache Gebäude umgaben, und die einsame Bahnstrecke, die von der Rückseite des Gebäudes aus in einem Bogen nach Westen verlief, sahen

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