Der Unsichtbare Feind
anderen Delegierten.
»Oh, Sie sind Arzt.«
»Richtig!«
»Haben Sie Befürchtungen hinsichtlich der Aufnahmerate genetischen Materials in die Empfänger edibler, gentechnologisch produzierter Vakzine?«
»Edibler was?«
»Welche Position vertreten Sie beim Einsatz retroviraler Vektoren?«
»Retroviral? Sie meinen, wie bei AIDS?«
»Abgeschwächt natürlich.«
»Das hoffe ich doch.«
Viele gleichartige Gespräche später entdeckte er am anderen Ende des Saales eine Frau, die sich ähnlicher Aufmerksamkeit zu erfreuen schien. Zu seiner Erleichterung sah er, dass auf ihrem Namensschild, das durch einen Menschenauflauf wie um ihn selbst herum erkennbar war, ebenfalls ein ›Dr. med.‹ stand. Er registrierte auch ihre gebräunte Haut und die Tatsache, dass sie einen traditionellen polynesischen Wickelrock trug und ihr Haar zu einem breiten Zopf geflochten hatte, der ihr bis zur Taille reichte.
Vielleicht lebt sie hier, dachte er und starrte sie weiter an, während sie lächelte und auf alle Fragen, die ihr gestellt wurden, ausführliche Antworten gab. Tatsächlich sieht sie so aus, als ob sie mir ein paar Tipps geben könnte, wie man auf all die Fragen antwortet, die diese Meute stellt. Froh, einen Grund zu haben, sich ihr vorzustellen, arbeitete er sich zu ihr durch.
Aber bevor er halbwegs dorthin gelangt war, winkte ihn der Mann, der ihn schon wegen der ediblen Vakzine verhört hatte, zu einer anderen Gruppe hinüber. »Dr. Steele, da ist jemand, den Sie kennen lernen sollten, der Ihren Widerstand gegen retrovirale Vektoren teilt –«
»Meinen Widerstand?«
»Dr. Steele ist die medizinische Autorität auf dieser Konferenz«, beharrte er.
»Autorität? Oh nein, bei weitem nicht. Ich fürchte, ich werde beobachten und noch sehr viel lernen müssen, bevor ich zu etwas nütze bin.«
»Unsinn, Doktor!«, warf einer der etwas älteren Herren in der Runde ein. »Wir haben seit Jahren auf diesen Rummelplätzen um einen echten Arzt gebettelt.« Er hatte graues, gelocktes Haar, trug eine breitrandige Brille und Kleidung – dunklen Blazer, hellblaues Hemd, lohfarbene Hosen –, als ob er gleich auf seine Yacht gehen würde. Er zeigte mit ausladender Geste in den Saal. »Hier laufen alle herum und behaupten, dass die Gesundheit der menschlichen Rasse am Abgrund steht, und die meisten haben nie etwas anderes als Ratten als Patienten gehabt.«
Ein kurzes Gelächter ergriff die Gruppe.
»Nun, das ist für mich trotzdem immer noch eine ganz neue Welt«, antwortete Steele, während er mit den anderen gluckste. »Aber vielen Dank für die Ermutigung.«
»Zögern Sie nicht, mir zu sagen, wenn ich Ihnen helfen kann«, antwortete der Mann und überreichte ihm seine Karte. »Mein Name ist Steve Patton, und ich bin ein unheilbarer Umweltschützer, der nie aus den Sechzigern herausgekommen ist«, fügte er grinsend hinzu. Dann entschuldigte er sich, drehte sich um und ging ruhig zu einer Ecke, wo ein halbes Dutzend Journalisten gerade eine hübsche Frau mit kurzen, kastanienbraunen Haaren und äußerst bemerkenswerten grünen Augen interviewte. Sie und Patton begrüßten sich mit einem formell wirkenden Kuss auf die Wange, und das Paar führte das Interview gemeinsam fort.
Das ist Dr. Kathleen Sullivan, dachte Steele, der sie aus ihrer Fernsehsendung wiedererkannte. Er würde später mit ihr sprechen müssen, um herauszufinden, bei welchen Podiumsdiskussionen sie ihn dabeihaben wollte. Er entschuldigte sich bei denen, die noch um ihn herum standen, und während er seinen Weg zu der Frau fortsetzte, mit der er eigentlich hatte sprechen wollen, warf er einen Blick auf die Visitenkarte. Präsident – Blue Planet Society, las er und erkannte eine der hervorragendsten Umweltschutzgesellschaften in den Vereinigten Staaten. Er steckte die Karte in seine Jackentasche und murmelte: »›Unheilbarer Umweltschützer‹, ja, leck mich am Arsch.«
Er blieb in höflichem Abstand hinter ihr, der ›Dr. med.‹, stehen und wartete, bis die letzte Gruppe von Fragestellern fertig war. Sie stand nahe am Rand eines offenen Balkons vor einem Fächer aus flammend orangen, blutroten und fuchsienfarbenen Strahlen, als die Sonne gerade in den Ozean eintauchte. Im letzten Aufglühen des Lichtes konnte er sehen, wie sich der Umriss ihrer langen Beine und die Rundung ihrer Hüften unter dem dünnen Material ihres Rockes abzeichnete. Verlegen, dass er zum unfreiwilligen Voyeur wurde, sah er zur Seite, warf aber immer wieder kurze Blicke in
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