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Der Unsichtbare Feind

Titel: Der Unsichtbare Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
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Alles, was er von Bob Morgan brauchte, war der Name von jemandem bei Biofeed, der von ihrem Geheimnis wusste und sich dafür interessieren könnte, dass eine gewisse Dr. Kathleen Sullivan jetzt auf seiner Farm herumschnüffelte und Fragen über Hühnergrippe stellte. Natürlich müsste diese Person, wer auch immer es sein mochte, bereit sein, für diese Information wenigstens das Geld für einen netten Motorsegler auszuspucken.
    Montag, 8. Mai, 19.15 Uhr
    Steele hatte seit den Straßendemos, deren Zeuge er während seiner Studienzeit geworden war, nichts Vergleichbares mehr gesehen. Vor dem Eingang des Kongresszentrums von Honolulu liefen als Monarchfalter kostümierte Schauspieler im Kreis und flatterten mit ihren Flügeln. Dann ließen sie sich auf den Bürgersteig fallen und ›starben‹ mit einer Selbstsicherheit, die einer Version von Schwanensee für Schmetterlinge würdig war. Andere Thespisjünger, die als riesige, mutierte Maiskolben verkleidet waren, verteilten Pamphlete mit der Frage: Wissen Sie, was in den Cornflakes ist, die Sie heute gefrühstückt haben? Ein Ballett von fleckigen Tomaten, aus deren offenen Wunden grüner Schleim quoll, tanzte und wirbelte durch die Menge.
    Passanten auf dem Heimweg nach der Arbeit, die meisten Hawaiianer, fassten dies alles als Fiesta auf, lachten und zeigten auf die verschiedenen kostümierten Darsteller. Daraufhin traten sofort besonders Eifrige mit Lautsprechern auf den Plan, die unverzüglich hinüberliefen und versuchten, jegliche Freudenbekundungen dieser Art zu unterdrücken, indem sie »Vernichtet vergiftete Nahrungsmittel!« bellten. Steele, der sich kopfschüttelnd seinen Weg durch diese humorlosen, aufdringlichen Aktivisten bahnte, war ihre aggressive Taktik völlig fremd, und er glaubte, dass das Einzige, wovon sie die Erde befreiten, das Lächeln der Menschen sein würde.
    Als er jedoch erst einmal drinnen zwischen der dicht gedrängten Menge der Delegierten vor dem Empfangskontor stand, verspürte er eine Erregung, die ihm vertrauter war – eine Erregung, die er vor einem Vierteljahrhundert bei Abrüstungsmärschen, Friedensdemonstrationen und Versammlungen zur Rettung des Planeten kennen gelernt hatte. Das Summen der Faxgeräte, die Botschaften ausspuckten, ersetzte das Rattern der Vervielfältigungsmaschinen, der Laptop war das Mittel geworden, um weltweit Manifeste zu verbreiten, und das unaufhörliche Trillern der Handys verlieh der Versammlung die Geräuschkulisse einer Voliere – aber die besondere Elektrizität, die in der Luft lag, wenn sich die besten und begabtesten Köpfe der Welt versammelten, um Klage gegen ein großes Unrecht zu führen, hatte sich kein bisschen verändert. Sie war für ihn heute noch genauso fühlbar wie damals.
    Die Überzahl Frauen bestätigte etwas anderes, das gleich geblieben war – es sind meist die Weibchen einer Art, die dem Ruf folgen, wenn Mutter Erde bedroht ist. Er lächelte, als er daran dachte, dass er sich der einen oder anderen Sache nur angeschlossen hatte, um mit einer hübschen Kommilitonin ins Gespräch zu kommen. So hatte er auch Luana kennengelernt – er hatte gesehen, wie sie Protestplakate malte, und hatte zum Pinsel gegriffen, um ihr zu helfen. Er konnte sich nicht einmal erinnern, zu wessen Rettung sie geeilt waren. Er grinste immer noch, als ihm schließlich auffiel, dass er in der Lage gewesen war, eine Erinnerung an sie zu genießen, ohne dass es ihm das Herz zerriss. Gut, gut, dachte er und erkannte, dass dies vielleicht das erste Anzeichen dafür war, dass er die Fesseln seiner Trauer abstreifen würde.
    Auf dem Empfang am selben Abend stand er in der Menschenmenge und beobachtete, wie Kellner im ›Aloha-Dress‹ – Hawaiihemden und zerknitterten Hosen – Tabletts stemmten, auf denen sich roter Schellfisch, gelbe Paprika und grüne Avocados türmten, alle in weißen Reis und schwarze Algen gewickelt. Um sich herum hörte er eine Sprache, die ihm vertraut und fremd zugleich war. Fachausdrücke wie Retrovirus, Ribosom und Genexpression gehörten zu seinem Jargon, aber sie erreichten sein Ohr verwoben mit Wörtern wie Transposon, Plasmid und promiskes Gen. Er hatte keinen blassen Schimmer, was diese neuartige Terminologie bedeutete, so wenig, dass er zu zweifeln begann, ob er den Vorträgen würde folgen können. Um alles noch schlimmer zu machen, schien er der einzige Arzt auf der Party zu sein, und das große ›Dr. med.‹ auf seinem Namensschild wurde zum Signalfeuer für die

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