Der unsichtbare Feind
Gelächter des Hexers beseitigte seine Zweifel.
»Wir sehen sie!« rief er durch das Hallen der Signale. »Aber sie vermögen nicht zu erkennen, daß wir Kurs auf sie nehmen.«
Die Nullora, wieder am äußersten westlichen Punkt, wendete. Die Riemen wurden ins Schiffsinnere gezogen. Die Galeeren schwenkten herum, eine nach der anderen, und sie wurden ebenfalls nach Westen gerudert.
Luxon erkannte den Plan nach wenigen Atemzügen.
Der Hexer war, zu allem Übel, auch noch ein sicherer Kapitän. Die Galeeren würden einen weiten Bogen einschlagen, zuerst nach Westen und dann, mit dem Wind, nach Ost zurück.
Die Flotte aus Logghard und die Rebellenschiffe rauschten nach Norden. Also würden die Galeeren der Zaketer sie von der Backbordseite ungesehen angreifen und rammen können.
»Begreifst du, Shallad, wie leicht wir deine Barbaren vernichten?«
»Warte bis zum Ende, Hexer«, schrie Luxon haßerfüllt. »Noch ist der Sieg nicht dein.«
Die ersten magischen Fenster hatten sich wieder geschlossen. In steigender Panik sah der junge Shallad die Kursänderungen der Galeeren. Ihre Linie fächerte sich auf und verwandelte sich in die gleiche Keilform, die auch seine Flotte eingenommen hatte.
Das Unheil ließ sich nicht mehr aufhalten.
*
Fünfzehnmal hundert tiefe Atemzüge später kamen die Krieger aus Logghard leise und unbemerkt wieder aus dem Bauch des Schiffes an Deck, unter ihnen auch Luxon. Sie hatten ihre Waffen gefunden und angelegt.
Da sie sich kaum von den Calcopern unterschieden, fielen sie nicht auf, als sie sich unter die anderen gemischt hatten. Langsam verteilten sie sich über das gesamte Deck.
Zarn schob sich an Luxons Seite.
»Abgesehen davon, daß wir gegen eine riesige Übermacht kämpfen«, murmelte er kaum hörbar, »was hast du vor?«
»Einen letzten Versuch«, bekannte Luxon. »Vielleicht, wenn alle abgelenkt sind… wartet auf meine Befehle. Niemand wird sie überhören. Im übrigen haben wir schon andere Kämpfe überlebt.«
»Gut. Wir warten!«
»Etwas anderes ist schwerlich möglich.«
Luxon sah, wie die Galeeren in neuer Ordnung und in vorbildlicher Formation sich wieder sammelten und in Angriffsposition gingen. Die Krieger und die Mannschaften an den Katapulten gingen in Stellung. Die Bugspitzen wurden geräumt, die Riemen einiger Galeeren schoben sich wieder hinaus und verharrten, noch, bewegungslos. Die unsichtbare Flotte war jetzt irgendwo steuerbords voraus. Wieder öffnete Aiquos ein magisches Fenster; es war ein unregelmäßiges, langgezogenes Feld, das den Ausblick auf die Rhiad, die Ayadon und die ersten Schiffe des Angriffskeils erlaubte. Dort schwebten sie, ein Ausschnitt der Wirklichkeit, nur wenige Bogenschüsse entfernt.
Aiquos rief mit gellender Stimme:
»Rammt sie! Vernichtet sie durch Feuer! Schießt die Bögen und die Katapulte ab!«
Wieder blinkten die Signale. Die einzelnen Kapitäne verständigten sich untereinander. Es würde ein Kampf Schiff gegen Schiff werden. Jeder Kapitän suchte sich sein Ziel aus. Natürlich würde die Nullora den Angriff gegen die Rhiad führen, die noch nicht nahe genug war. Aber die Schiffe hinter der Nullora, vier schwere Galeeren, hatten ihre Gegner gefunden.
Mit heulendem Wind in den vollen Segeln und dem schnellen, harten Pochen der riesigen Trommel im Ruderdeck, mit dem Schwirren und Klatschen der Peitschen, mit schnell peitschenden Riemen schoben sie sich mit hoch aufgischtender Bugwelle auf die gegnerischen Schiffe zu.
Die An’Thurim bildete die Spitze des Keils. Luxon schloß die Augen – jeden Moment erwartete er den Zusammenprall.
Hörten denn seine Leute jenseits der Unsichtbarkeitszone nicht das vielfältige Geräusch?
*
Er wußte, daß es da etwas gab, was seine Sinne nicht fassen konnten. Magie? Dämonen? Zauber?
Weit voraus lag das Atoll Quenya. Das Meer rundherum war völlig leer; es zeigte sich nicht einmal ein Fischer-Einbaum. Es schien, als trüge der Wind Stimmengewirr und dumpfe Trommelschläge, Knarren und Windgeräusche an sein Ohr. Sein Steuermann rief:
»Kapitän! Mardan! Da, von Backbord…«
Er deutete dorthin. Mardan, der Kapitän der Wahnhall, glaubte zu sehen, wie der Horizont flimmerte, wie er sich verschob, undeutlich und wieder klar wurde. Mardan hob den Arm und merkte, wie sich die Aufmerksamkeit seiner Männer auf ihn richtete.
»Achtet auf alles! Seid bereit!« dröhnte seine Stimme vom Achterdeck. Das Schiff richtete den Bugspriet wieder auf Quenya und senkte sich in ein Wellental.
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