Der Untergang
Rundfunkstation verbreitete Nachricht, »daß der Führer gefallen sei«. Ein Funkspruch an Keitel befahl noch einmal »blitzschnelles und stahlhartes« Vorgehen und forderte »Wenck, Schörner und andere« auf, ihre »Treue zum Führer durch schnellen Entsatz unter Beweis (zu) stellen«. Etwas später hatte sich Krebs mit Jodl verbinden lassen, doch brach das Gespräch mitten im Satz ab, weil, wie sich bald ergab, der Fesselballon abgeschossen worden war, der die funktelefonische Verbindung mit dem Bunker herstellte.
Zur Mittagslage verlangte Hitler nach Wilhelm Mohnke, um Auskunft über den neuesten Frontverlauf zu erhalten. Mohnke legte eine Karte der Berliner Innenstadt vor und erläuterte in dürren Worten: »Im Norden steht der Russe kurz vor der Weidendammer Brücke. Im Osten am Lustgarten.
Im Süden am Potsdamer Platz und am Luftfahrtministerium. Im Westen im Tiergarten, dreihundert bis vierhundert Meter vor der Reichskanzlei.« Als Hitler wissen wollte, wie lange Mohnke noch halten könne, bekam er zur Antwort: »Höchstens zwanzig bis vierundzwanzig Stunden, mein Führer, nicht länger.«
Darauf gab Hitler seinem Hundeführer, Feldwebel Fritz Tornow, den Befehl, die Schäferhündin Blondi zu vergiften. Das Tier dürfe nicht den Russen in die Hände fallen, sagte er, der bloße Gedanke daran mache ihn krank. Noch wichtiger war ihm offenbar, die Wirkung der Blausäure zu erproben, die in den vergangenen Wochen reihum verteilt worden war. Seit dem Verrat Himmlers war er nicht mehr sicher, daß das von der SS beschaffte Gift mit der Plötzlichkeit, auf die es ihm ankam, den Tod herbeiführe. Doch als Tornow die Ampulle mit einer Zange über dem aufgesperrten Rachen des Hundes zerdrückte, fiel das Tier »wie vom Blitz getroffen« zur Seite. Kurz darauf kam Hitler, wie einer der Augenzeugen berichtet hat, zum Bunkerausgang, um »von dem Hund Abschied« zu nehmen. Bei der Rückkehr in den Tiefbunker, wird von anderer Seite versichert, habe er »wie seine eigene Totenmaske« ausgesehen und sich »wortlos … in seinem Zimmer eingeschlossen«. Unterdessen erschoß Tornow oben, nahe dem Gartenausgang, auch die fünf Welpen.
Im Bunker breitete sich eine merkwürdig leere Stille aus. Wer immer zu einem Bericht zu erscheinen oder eine Meldung zu überbringen hatte, machte sich so rasch wie möglich wieder davon. »Jeder hat Angst gehabt, da unten zu bleiben«, heißt es in den Aufzeichnungen des Bunkertelefonisten Rochus Misch, die Atmosphäre sei »wie in einem Sargkasten« gewesen. Die regelmäßigen Konferenzteilnehmer saßen ratlos herum und ergingen sich in wirren Planspielen. Kaum einer glaubte daran, daß halbwegs geordnete Operationen noch möglich seien, und tatsächlich waren die meisten Kampfverbände, ungeachtet aller Befehle aus dem Bunker, längst dazu übergegangen, den Widerstand nach eigenem Gutdünken zu organisieren.
Schon um dem Höhlenkoller zu entgehen, verließ von Zeit zu Zeit, wer immer gerade nicht benötigt wurde, den stickigen Lagekorridor und begab sich in den höher gelegenen Vorbunker oder hinüber in die Keller der Reichskanzlei. Ein Teil der Räume war inzwischen für die Sicherungskompanie der Leibstandarte sowie für Schutzsuchende aus der Umgebung frei gemacht worden, ein größerer Trakt als Lazarett hergerichtet, in dem mehr als dreihundert meist Schwerverwundete Aufnahme gefunden hatten. Zwei Ärzte mit Schwestern und Helfern eilten über die Gänge und versorgten die Kranken. Während die einen an blutverschmierten Tischen operierten, schafften die anderen die Toten oder auch große Wannen mit amputierten Gliedmaßen durch das unbeschreibliche Gedränge zum Bunkerausgang. Und dazwischen zahllose Amtsträger der Partei, Verwaltungsoffiziere oder hohe Beamte, die aus den treuen Diensten, die sie dem Regime geleistet hatten, den Anspruch auf besonderen, ihrem Rang angemessenen Schutz ableiteten. Die chaotisch überfüllten Raumfluchten waren die gleichsam schwarze Kulisse für die »Weltuntergangsstimmung«, von der ein anderer Bericht spricht, wo »alle versuchten, ihren Jammer mit Alkohol zu betäuben. Die besten Weine, Liköre und Delikatessen wurden den großen Vorräten entnommen.« Auch hier wiederum sah jeder sich, wo immer er hinkam, in ein Gespräch hineingezogen, »wann und wie man sich selber töten sollte«, und einer der Bunkerinsassen beschrieb sich »als Bewohner eines Leichenschauhauses«, in dem die Toten vorspiegelten, noch am Leben zu
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