Der Untergang
Tür blieb. Aber Hitler wollte nun nichts mehr davon hören. Mit wenigen Worten lehnte er ihre Bitte ab, und »nach etwa einer Minute«, heißt es in dem Bericht Günsches, zog sie »sich weinend zurück «. Auch Artur Axmann kam noch einmal angelaufen und wollte dringend den Führer sprechen, aber Günsche bedeutete ihm, daß er strikten Befehl habe, niemanden mehr vorzulassen.
Im Bunker breitete sich wieder, wie an den Vortagen, eine lastende Stille aus, überall saßen einzelne oder kleine Gruppen herum und warteten ab. Doch als könne dieses Leben, das die längste Zeit von abgründigen Inszenierungseinfällen bestimmt gewesen war, nicht ohne einen grellen Effekt enden, setzte in diesem Augenblick in der Kantine des Vorbunkers ein Tanzvergnügen ein, in dem sich die wochenlange Nervenanspannung der Bunkerbewohner löste: Die so lange befolgten, wenn auch zuletzt sichtlich vernachlässigten Regeln der strikten Disziplin brachen jetzt in einem übermächtigen Gefühl von Erleichterung und Ende zusammen. Aus den Lautsprechern tönte ausgelassene Musik, und wie fern sie auch herüberkam, war sie doch bis in die äußersten Winkel des unterirdischen Labyrinths zu vernehmen. Eine Ordonnanz wurde nach oben geschickt, um für Ruhe zu sorgen, der Führer, richtete der Bote aus, sei im Begriff zu sterben. Aber keiner der meist betrunkenen Kantinengäste nahm die Aufforderung zur Kenntnis, und das Zechgelage ging weiter.
Was dann geschah, hat sich nicht eindeutig ermitteln lassen. Einige Zeugen berichten, gegen halb vier Uhr einen einzelnen Schuß gehört zu haben. Die Sekretärin Gertraud Junge, die nach der Verabschiedung durch Hitler die oberen Räume aufsuchen wollte, um der Enge, Stickigkeit und melodramatischen Stimmung im Tiefbunker zu entkommen, lief auf einem Treppenabsatz in die verloren herumhockenden GoebbelsKinder. Sie beschaffte ihnen etwas zu essen, las ihnen zur Ablenkung auch ein paar Geschichten vor und versuchte, ihre immer neuen, angstvollen Fragen zu beantworten. Plötzlich, hat sie sich erinnert, sei ein Pistolenknall zu hören gewesen, und der neunjährige Helmuth habe fröhlich aufgeregt gerufen: »Volltreffer!« Andere Zeugen dagegen haben, vor allem unter Hinweis auf die unausgesetzt stampfenden Dieselmotoren und die summenden Ventilatoren, jedes wahrnehmbare Geräusch bestritten.
Im großen und kleinen Lageraum jedenfalls wartete während der ganzen Zeit in mühsam unterdrückter Unruhe die Runde, die an der Verabschiedung teilgenommen hatte, bis Linge, der im Wachraum bei einigen eilig heruntergeschütteten Gläsern Schnaps Trost gesucht hatte, das Zimmer vor Hitlers Wohnräumen betrat. Auf den Pulvergeruch hin, den er, seiner Behauptung zufolge, augenblicklich wahrnahm, ging er in den Korridor zu Bormann und sagte: »Herr Reichsleiter, es ist passiert!«
Beide begaben sich daraufhin, gefolgt von Günsche, in den Raum nebenan. Hitler saß zusammengesunken und mit offenen Augen, den Kopf etwas vornübergeneigt, auf dem geblümten Sofa. An seiner rechten Schläfe klaffte ein münzgroßes Loch, von dem ein blutiges Rinnsal die Wange heruntergelaufen war. Auf dem Boden lag eine Walther-Pistole vom Kaliber 7.65 mm. Daneben hatte sich eine Lache gebildet, und die hintere Wand war mit Blutspritzern übersät. Neben ihm hockte in einem blauen Kleid, mit angezogenen Beinen und zusammengepreßten, bläulich verfärbten Lippen, seine Frau. Ihre Pistole lag unbenutzt vor ihr auf dem Tisch. Es roch nach Pulverqualm und Bittermandeln. Einige Beteiligte haben behauptet, daß Hitler offenbar, dem Rat eines der Bunkerärzte, Dr. Werner Haase, folgend, eine Blausäure-Ampulle zerbissen und sich gleichzeitig in die Schläfe beziehungsweise, nach abweichender Version, in den Mund geschossen habe. Der SSGeneral Rattenhuber wiederum hat aus dem Hörensagen von hier und dort geschlossen, daß Hitler lediglich Gift genommen habe und anschließend von einem Dritten, aufgrund eines zuvor erteilten Befehls, erschossen worden sei. Der wirkliche Hergang ist nicht mehr aufklärbar.
Da höchste Eile geboten war, ging Günsche nach einem Augenblick gelähmten Gedenkens zu den Wartenden im Lageraum, schlug leicht die Hacken zusammen und sagte: »Ich melde: Der Führer ist tot!« Mit unbewegten Mienen folgten ihm Goebbels, Krebs, Burgdorf und die anderen in Hitlers Arbeitszimmer, wo Linge schon dabei war, den Toten in eine Decke zu hüllen. Zusammen mit Högl trug er Hitlers Leiche am Spalier der kleinen
Weitere Kostenlose Bücher