Der Untergang
authentischen Stimme. Jetzt wurde sie wieder hörbar. Schon in einem der Kampflieder der aufsteigenden Bewegung, das »alles in Scherben« zu schlagen verhieß, hatte sie sich vernehmlich gemacht, war dann aber, nach der Eroberung der Macht, von den Parolen nationaler Ehre, von Friedensbeteuerungen und später, während der ersten Kriegsjahre, vom Fanfarenlärm der Sondermeldungen übertönt worden. Die innenpolitischen Gegner des Regimes hatten bereits im Verlauf der dreißiger Jahre die Refrainzeile des Liedes vorausblickend umgedichtet: »Denn heute zerstören wir Deutschland und morgen die ganze Welt!« Mit den Befehlen zur »Verbrannten Erde« trat dieser Vorsatz wieder offen hervor.
Wie tief der Zerstörungswille hinter den taktisch gebotenen Verstellungen vor allem während der Friedensjahre wirksam geblieben war, kam nicht nur in Hitlers zum Ende hin unablässig geäußerten Selbstvorwürfen über seine vielen Nachgiebigkeiten zum Ausdruck oder in dem von Goebbels bezeugten Bedauern, nicht mehr »kaputtgeschlagen« zu haben. Im Verlauf der Lagebesprechung vom 27. April, als das Gespräch sich der Frage zuwandte, was alles nach dem Endsieg besser zu machen sei, hatte sich einmal auch der Kampfkommandant der »Zitadelle« und SS-Gruppenführer Wilhelm Mohnke mit einer zynisch klingenden Bemerkung zu Wort gemeldet: »Was wir
1933 wollten«, wandte er sich an Hitler, »haben wir nicht ganz geschafft, mein Führer!« Doch Mohnke war kein Zyniker und die Lage schon gar nicht zu irgendeinem, auch erbittertem Hohn angetan. Als einer der radikalen Prätorianer des Regimes hatte er vielmehr nur zum Ausdruck gebracht, was hinter allen Maximen über die »Rettung der Welt« stets unüberhörbar geblieben war: den grenzenlosen Destruktionswillen, der die eigentliche Wahrheit über Hitler und seine verschworenen Gefolgsleute ausmachte. Zeit ihres Aufstiegs und ihrer Herrschaft hatten sie Feinde benötigt, von Feindschaften ihr Selbstbewußtsein hergeleitet, durch sie sich geradezu definiert und, wo sie fehlten, alles Erdenkliche darangesetzt, sie sich zu schaffen. Damit waren sie keineswegs gescheitert.
Man hat es denn auch auf Hitlers Seite nicht nur mit Erbitterung und Schrecken zu tun. Vielmehr waren es komplizierte Erfüllungsgefühle, die gerade im Desaster nach oben kamen und ihn dazu brachten, die nahende Niederlage als historisches Untergangsspektakel zu inszenieren. Schon im März hatte Goebbels auf einer Pressekonferenz erklärt: »Wenn wir untergehen sollten, dann wird mit uns das ganze deutsche Volk untergehen, und zwar so ruhmreich, daß selbst noch nach tausend Jahren der heroische Untergang der Deutschen in der Weltgeschichte an erster Stelle steht.«
Die Absicht, sich als Mythos ins Bewußtsein der Welt einzukratzen, war das andere beherrschende Motiv für Hitler und seine engste Gefolgschaft. Der Totenfeier, die sie sich gleich vorgeschichtlichen Stammesfürsten ausrichteten, brachten sie ungezählte Menschenleben dar, die Statistiken der letzten Kriegswochen nennen, im Durchschnitt jedes Tages, mehrere zehntausend Opfer. Die frühzeitig eingeschlossene 9. Armee, deren Befehlshabern Hitler das mehrfach vorgebrachte Ausbruchsverlangen ein ums andere Mal abgeschlagen hatte, bis sie Ende April sinnlos unterging, ist dafür nur ein Beispiel; ein anderes, ungleich größeres, der zum »weltanschaulichen Vernichtungskampf« gesteigerte Krieg nach Osten, dessen Beginn bezeichnenderweise das Einsatzzeichen für die großangelegten Ausrottungsmaßnahmen gegen die sogenannten Minderrassen war, gegen die Slawen und insbesondere gegen die Juden.
Das Regime ist dabei um so radikaler zu Werke gegangen, je aussichtsloser die Lage wurde. Mitunter hat es seinen Vernichtungswillen sogar über das Ende hinaus zu verlängern versucht. Selbst Großadmiral Dönitz, der sich gern als überaus korrekter, wenn auch strenger Befehlshaber sah, hat sich nicht gescheut, Mörder zu belobigen. In einem »Geheimen Tagesbefehl« vom 19. April 1945 hat er einen Oberfeldwebel der Marine seiner »vollen Anerkennung« versichert und als Beispiel gewürdigt, der in einem australischen Gefangenenlager einige deutsche Mitgefangene, die sich als Hitlergegner zu erkennen gegeben hatten, »planvoll«, wie es wörtlich heißt, »und von der Bewachung unauffällig umlegen« ließ. Dergleichen war kein Einzelfall. Nicht selten gewinnt man den Eindruck, als habe Hitlers Vorsatz des Zugrunderichtens im Fortgang der Zeit zunehmend in
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