Der Untergang
Weigerung, gegen die absehbaren Durchbrüche gegnerischer Armeen Auffangstellungen zu bilden, bis hin zur Ardennenoffensive vom Dezember 1944, für die er von der Ostfront starke Verbände abzog, um mit Hilfe der »Russendrohung« den Widerstandswillen der lange kriegsmüden Bevölkerung zu mobilisieren. Schon zwei Jahre zuvor hatte er erklärt, er werde notfalls die Vierzehnjährigen zu den Waffen rufen, denn es wäre »immer noch besser, sie fielen im Kampf gegen den Osten, als daß sie bei einem verlorenen Krieg zermartert oder in niederster Sklavenarbeit geschunden würden«. Die Leute, ereiferte er sich jetzt, machten im Westen einfach die Panzersperren auf und hängten, allen Strafankündigungen zum Trotz, weiße Fahnen zu den Fenstern hinaus, ein ganzes Korps sei spurlos verschwunden: »Es ist schandbar!« Was noch an Kriegführung verblieb, entwickelte sich denn auch mehr und mehr zur Strafaktion gegen das eigene Volk. Es sollte, wie er annähernd vier Jahre früher versichert hatte, »vergehen und vernichtet werden«, und er selber wollte, den »ewigen Regeln« vom Überlebenskampf gehorchend, nach Kräften dazu beitragen.
Allem begründbaren Ermessen zufolge war es dieser geschäftig betriebene Untergangswille, der Hitler bis zuletzt aufrechterhalten hat. In der Tat steht die von allen Zeugen beschriebene Hinfälligkeit der Erscheinung - die krumme Haltung, der schlurfende Gang und die zunehmend ermüdete Stimme - in einem absurd anmutenden Gegensatz zu Hitlers von denselben Beobachtern vermerkten Durchsetzungsenergie - eine »kuchenverschlingende Ruine«, wie ihn einer der Bunkerbewohner bezeichnet hat, aber von nach wie vor suggestiver, niemals angezweifelter Autorität. Mitte März war der Danziger Gauleiter Forster im Bunker erschienen, hatte sich panisch und verzweifelt im Vorzimmer darüber ausgelassen, daß die Russen mit einer gewaltigen Streitmacht und elfhundert Panzern vor der zur Festung erklärten, aber gänzlich verteidigungsunfähigen Stadt erschienen seien, vier ganze Tigerpanzer stünden auf eigener Seite dagegen, er werde Hitler die Hoffnungslosigkeit der Lage darstellen und eine klare Entscheidung erzwingen. Doch schon nach kurzer Zeit kam Forster »völlig verwandelt« aus Hitlers Arbeitsraum zurück, der Führer werde Danzig retten, sagte er, da gebe es »nichts zu zweifeln«. Und der SS-General Karl Wolff, der am 18. April mit ähnlichen Absichten gekommen war, sah sich von allem beschwörenden Zureden durch die großartigen Pläne abgebracht, die Hitler ihm für die kommende Zeit entwickelte.
Auffällig bleibt, aufs Ganze gesehen, die bei aller advokatorischen Überredungsmacht Hitlers unverkennbare Erstarrung im Politischen. Überdeutlich tritt sein Unvermögen hervor, über die engsten militärischen Zwecke hinauszudenken. Im Verlauf der dreißiger Jahre hatte er mit immer neuen Überraschungsmanövern sowie mit einer Mischung aus Drohungen und Wohlverhaltensschwüren Erfolg auf Erfolg gehäuft und binnen unglaublich kurzer Zeit sein erstes Etappenziel, die Zerstörung des europäischen Mächtesystems, erreicht. Bereits ab Ende 1937 jedoch erweckt sein Verhalten den Eindruck, als sei er dieser billigen Triumphe überdrüssig und wolle endlich wieder zu dem »einen Prinzip« des Schlagens um jeden Preis zurück, dem er, wie er sich in einer Rede rühmte, sein Leben lang gefolgt war.
Jedenfalls kam seither, noch vor Ausbruch des Krieges, keine einzige politische Initiative mehr von ihm. Hochmütig ließ er
1938 die ebenso einzigartige wie feige Geste der Westmächte auf der Konferenz von München vorübergehen und zeigte sich nur verärgert darüber, daß sie ihm den Krieg verdarben, den er damals bereits wollte. Desgleichen gab es, zumal nach den Siegen über Polen und, im Jahr darauf, über Frankreich, mehrfach die Chance, dem Reich eine Art Hegemonie über Europa zu sichern. Doch Hitler sah den Mantel nicht, der da vorüberrauschte, und noch weniger griff er jemals zu. Fast schien es, als setzten ihn die militärischen Erfolge in Verlegenheit, weil er einer Lage ohne Krieg nichts abgewinnen konnte.
Die Einsicht, daß eine lange Friedenszeit, wie er im August
1939 seinen Generalen erklärte, »nicht guttun würde«, stand vermutlich auch hinter der völligen politischen Abstinenz der folgenden Jahre. Alle Ratschläge seiner Umgebung sowie von ausländischen Politikern wie Mussolini, Horthy oder Laval, die Kriegslage auf ihre diplomatischen Möglichkeiten zu
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