Der Unterhändler
wußte, daß das nicht zutraf, aber es war ihm auch klar, daß eine für ihn sehr gefährliche Situation entstehen könnte, wenn er ihnen ins Gesicht sagte, der Streß sei ihnen allmählich anzumerken und sie könnten die abstumpfende Langeweile und Untätigkeit höchstenfalls noch sechs Tage aushalten.
So beschwichtigte er sie, redete ihnen gut zu, sagte, sie hätten sich großartig gehalten; nur noch ein paar Tage, und sie würden alle reich sein. Der Gedanke an das viele Geld beruhigte sie wieder. Zack war erleichtert, daß es nicht zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen war. Im Unterschied zu den drei Männern, die im Haus bleiben mußten, hieß sein Problem nicht Langeweile, sondern Streß. Jedesmal, wenn er seinen großen Volvo über die verkehrsreichen Schnellstraßen steuerte, war er sich bewußt: eine einzige Stichprobenkontrolle der Polizei, ein geringfügiger Zusammenstoß mit einem anderen Wagen, ein einziger Augenblick der Unaufmerksamkeit und ein Streifenbeamter mit seiner blauen Mütze würde sich zu ihm hereinbeugen und sich fragen, warum der Mann eine Perücke und einen angeklebten Schnauzbart trug. Seine Tarnung tat es auf einer belebten Straße, nicht aber auf fünfzehn Zentimeter Entfernung.
Jedesmal, wenn er ein Telefonhäuschen betrat, malte er sich aus, daß etwas schiefging, daß der Anruf rascher als sonst geortet wurde, daß ein Beamter in Zivil, nur ein paar Meter weit weg, durch sein Funkgerät alarmiert wurde und auf die Telefonzelle zukam. Zack trug eine Waffe bei sich und war entschlossen, sich notfalls damit den Weg frei zu schießen. Aber dann müßte er den Volvo, den er immer ein paar hundert Meter entfernt geparkt hatte, aufgeben und zu Fuß fliehen. Irgendein Idiot unter den Passanten würde vielleicht sogar versuchen, ihm den Weg zu verlegen. Es war so weit gekommen, daß sich ihm jedesmal der Magen umdrehte, wenn er einen Polizisten auf den belebten Straßen sah, die er für seine Anrufe ausgewählt hatte.
»Geh und gib dem Jungen sein Abendessen«, sagte er zu dem Südafrikaner.
Simon Cormack befand sich den fünfzehnten Tag in seiner Kellerzelle, und dreizehn Tage waren vergangen, seit er die Frage nach Tante Emilys Buch beantwortet hatte, seit er wußte, daß sein Vater sich bemühte, ihn herauszuholen.
Er hatte inzwischen erkannt, was Einzelhaft bedeuten mußte, und fragte sich, wie Menschen solche Bedingungen monate-, ja, jahrelang durchstehen konnten. Zumindest in westlichen Gefängnissen hatten Leute in Einzelhaft Schreibmaterial, Bücher, manchmal auch ein Fernsehgerät, irgend etwas, was die Gedanken beschäftigte. Er hatte nichts. Aber er war ein zäher Junge und entschlossen, sich nicht kaputtmachen zu lassen.
Er machte regelmäßig Übungen, zwang sich, die Lethargie zu überwinden, die ihn überkam, machte zehnmal täglich seine Liegestütze, zwölfmal joggte er auf der Stelle. Er hatte noch immer seine Turnschuhe, Socken, Shorts und Slip an und wußte, daß er sicher schlimm roch. Er benutzte den Toiletteneimer sehr sorgfältig, um den Boden nicht schmutzig zu machen, und war dankbar, daß dieser jeden zweiten Tag abgeholt und geleert wurde.
Was es zu essen gab, war langweilig, zumeist gebraten oder kalt, aber es war ausreichend. Da er natürlich keinen Rasierapparat hatte, wuchs ihm ein zottiger Bart. Auch das Haar war länger geworden – er strählte es mit den Fingern. Er hatte um einen Plastikeimer voll Wasser und einen Schwamm gebeten und schließlich beides auch bekommen. Zum erstenmal wurde ihm klar, wie dankbar es einen Menschen machen kann, wenn er die Möglichkeit erhält, sich zu waschen. Er hatte sich nackt ausgezogen, die Shorts bis zur Fußkette hinabgeschoben, damit sie trocken blieben, und sich die Haut mit dem Schwamm abgeschrubbt, um sich, so gut es ging, zu säubern. Danach hatte er sich wie verwandelt gefühlt. Aber an einen Fluchtversuch dachte er nicht. Die Kette war unmöglich zu brechen, die Tür massiv und von außen verriegelt.
Zwischen den Leibesübungen bemühte er sich, auf verschiedene Weise seinen Geist zu beschäftigen: Er sagte jedes Gedicht auf, das ihm einfiel, tat so, als diktierte er einem unsichtbaren Stenografen seine Autobiografie, so daß er alles, was er in seinen einundzwanzig Jahren erlebt hatte, Revue passieren lassen konnte. Und er dachte an Amerika, an New Haven und Nantucket, an Yale und an das Weiße Haus. Er dachte an Mom und Dad und daran, wie es ihnen wohl gehen mochte; er hoffte, daß sie sich
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