Der Unterhändler
wer die Entführer gewesen waren.
Einer der Männer befreite Simon Cormack von seiner Fußkette, worauf er zusammen mit Quinn die Treppe hinauf, durchs Haus und in die Garage geführt wurde. Dort wartete der Volvo. Der Kofferraum war mit den Tragetaschen der Kidnapper so vollgestopft, daß kein Platz mehr blieb. Quinn mußte sich vor dem Rücksitz auf den Boden legen und wurde mit einer Decke zugedeckt. Seine Position war ungemütlich, seine Stimmung aber optimistisch.
Wenn die Kidnapper vorgehabt hätten, sie beide umzubringen, dann wäre der Keller dafür der richtige Ort gewesen. Er hatte vorgeschlagen, man solle ihn und Simon im Keller zurücklassen und dann aus dem Ausland anrufen, damit die Polizei sie befreien könne. Er tippte richtig, daß die Kidnapper ihr Versteck nicht entdeckt sehen wollten, zumindest vorläufig nicht. So lag er nun zusammengekrümmt auf dem Boden der Limousine und atmete, so gut es ging, durch die dicke Kapuze.
Er spürte den Druck der Kissen auf dem Rücksitz, als Simon Cormack sich der Länge nach darauf legen mußte. Auch über ihn wurde eine Decke gebreitet. Die beiden kleineren der Ganoven stiegen gleichfalls hinten ein. Sie saßen, Simons schlanken Körper hinter sich, auf der Vorderkante des Rücksitzes und stellten die Füße auf Quinn. Der Riese setzte sich auf den Beifahrersitz, Zack hinters Steuer.
Auf sein Kommando nahmen alle vier die Masken ab und warfen sie zusammen mit den Oberteilen der Trainingsanzüge durch die Fenster auf den Garagenboden. Zack setzte den Wagen zurück in die Einfahrt, schloß das Garagentor, fuhr rückwärts auf die Straße und dann davon. Niemand sah den Volvo. Es war noch dunkel – zwei Stunden bis zum Tagesanbruch.
Während dieser beiden Stunden fuhr der Wagen in gleichmäßigem Tempo dahin. Quinn hatte keine Ahnung, wohin es ging. Gegen 6 Uhr früh (später wurde festgestellt, daß es ein paar Minuten vor 6 Uhr gewesen sein mußte) wurde der Volvo langsamer und rollte aus. Keiner hatte während der ganzen Zeit gesprochen, alle saßen kerzengerade und schweigend in Straßenanzug, Hemd und Krawatte auf ihren Sitzen. Als sie anhielten, hörte Quinn, wie die linke hintere Tür aufging. Die vier Füße auf seinem Körper hoben sich. Jemand zog ihn an den Beinen aus dem Wagen. Er spürte nasses Gras unter seinen gefesselten Händen und wußte, daß er sich irgendwo am Rand einer Landstraße befand. Er rappelte sich auf, erst auf die Knie, dann auf die Füße. Er hörte, wie zwei Männer wieder in den Volvo einstiegen und die Tür zugeschlagen wurde.
»Zack«, rief er, »was ist mit dem Jungen?«
Zack stand neben der offenen Fahrertür auf der Straße und blickte übers Wagendach zu Quinn hin.
»Zehn Meilen weiter«, sagte er, »am Straßenrand, genauso wie du.«
Das Summen des kraftvollen Motors und das Knirschen von Kies unter sich drehenden Rädern war zu hören. Dann war der Volvo fort. Quinn spürte die Kühle des Novembermorgens an seinem nur mit einem Hemd bekleideten Oberkörper. Kaum war der Wagen verschwunden, machte er sich ans Werk.
Die anstrengende Arbeit auf den Weinbergen hatte ihn in Form gehalten. Seine Hüften waren schmal, wie die eines fünfzehn Jahre jüngeren Mannes, und seine Arme lang. Als ihm die Handschellen angelegt worden waren, hatte er die Sehnen an den Gelenken angespannt, um möglichst viel Spielraum zu haben, wenn er freigelassen wurde. Er zog die Handschellen so weit wie möglich nach unten und die gefesselten Hände unter sein Hinterteil. Dann setzte er sich ins Gras, schob die Handgelenke unter die Knie, stieß sich die Schuhe von den Füßen und zerrte die Beine, erst das eine, dann das andere, durch die aneinandergefesselten Arme. Dann, als er die Hände vorne hatte, zog er sich die Kapuze herunter.
Die Straße war lang, schmal, schnurgerade und im Dämmerlicht des anbrechenden Morgens ohne jeden Verkehr. Er sog sich die Lungen mit der kühlen, frischen Luft voll und blickte sich nach menschlichen Behausungen um. Es waren weit und breit keine zu sehen. Er zog die Schuhe wieder an, stand auf und begann in der Richtung, die der Volvo genommen hatte, die Straße dahinzujoggen.
Nach zwei Meilen kam er zu einer Tankstelle am Straßenrand, mit altmodischen handbetriebenen Pumpen und einem kleinen Büro. Nach drei Tritten hatte er die Tür offen, und auf einem Regal hinter dem Stuhl des Tankwarts entdeckte er das Telefon. Er hob mit beiden Händen den Hörer ab, beugte sich mit einem Ohr hin, um
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