Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Unterhändler

Der Unterhändler

Titel: Der Unterhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
Konfrontation. Wieder einmal lagen auf dem Konferenztisch, der beinahe ebenso lang war wie sein Zimmer, Zeitungen aus dem Westen ausgebreitet; die Aufnahmen darin erzählten einen Teil der Geschichte, die schreienden Schlagzeilen den Rest. Nur für letztere brauchte er eine russische Fassung. An jede Zeitung war die im Außenministerium besorgte Übersetzung geheftet.
    Auf seinem Schreibtisch lagen Berichte, die keiner Übersetzung bedurften. Sie waren auf russisch abgefaßt, von Botschaftern und Generalkonsuln aus aller Welt und den Auslandskorrespondenten der Sowjetpresse. Selbst bei den osteuropäischen Satelliten war es zu antisowjetischen Demonstrationen gekommen. Moskau hatte immer wieder und aufrichtig dementiert, und doch …
    Als Russe und als Parteiapparatschik mit langjähriger Übung war Gorbatschow, was das Geschäft der Realpolitik betraf, nicht von Skrupeln geplagt. Er wußte, was Desinformation ist; hatte nicht der Kreml dafür eine ganze eigene Abteilung ins Leben gerufen? Schließlich gab es im KGB ein Direktorat, das die Aufgabe hatte, mittels wohlgezielter Lügen oder noch schädlicherer Halbwahrheiten antiwestliche Stimmungen zu schüren. Doch dieser Akt der Desinformation war unglaublich.
    Er wartete voll Ungeduld auf den Mann, den er zu sich zitiert hatte. Es war beinahe schon Mitternacht und er hatte die Entenjagd an den nördlichen Seen, die er für dieses Wochenende geplant hatte – neben seiner Vorliebe für scharfgewürzte georgische Speisen, seine zweite große Leidenschaft – absagen müssen.
    Er kam kurz nach Mitternacht.
    Gerade ein Generalsekretär der KP d SU sollte sich nicht der Erwartung hingeben, daß ein Vorsitzender des KGB ein warmherziger, liebenswerter Charakter ist, aber Generaloberst Wladimir Krjutschkows Gesicht hatte einen Zug kalter Grausamkeit, den Gorbatschow persönlich unsympathisch fand.
    Zwar hatte er den Mann von seinem Posten als Dritter Stellvertretender Vorsitzender drei Jahre vorher an die Spitze geholt, als es ihm gelungen war, seinen alten Widersacher Tschebrikow aus dem Amt zu entfernen. Einer der vier Stellvertretenden Vorsitzenden hatte Anspruch auf die freigewordene Position, und Gorbatschow war von Krjutschkows Vergangenheit als Anwalt so angetan gewesen, daß er ihm den Posten antrug. Doch seither hatte er begonnen, gewisse Vorbehalte gegen ihn zu hegen.
    Er war sich bewußt, daß ihn dabei vielleicht das Verlangen geleitet hatte, die Ud SSR in einen »sozialistischen Rechtsstaat« zu verwandeln, in dem das Recht über allem stand, eine Idee, die dem Kreml früher als bürgerlich gegolten hatte. Es war eine ziemlich hektische Zeit gewesen, jene ersten Oktobertage 1988, als er plötzlich eine außerordentliche Sitzung des Zentralkomitees einberufen und seine eigene Nacht der langen Messer gegen seine Widersacher eingeleitet hatte. Vielleicht hatte er in der Eile ein paar Dinge übersehen. Wie beispielsweise Krjutschkows Vergangenheit.
    Dieser hatte während der stalinistischen Säuberungsprozesse in der Staatsanwaltschaft gearbeitet, keine Aufgabe für überempfindliche Naturen, war 1956 an der brutalen Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn beteiligt gewesen und 1967 in den KGB eingetreten. In Ungarn hatte er auch Andropow kennengelernt, der dann fünfzehn Jahre lang an der Spitze des KGB stand. Andropow hatte Tschebrikow als seinen Nachfolger vorgeschlagen und dieser Krjutschkow zum Chef der Auslandsspionage, des Ersten Hauptdirektorats, gemacht. Vielleicht hatte er, Gorbatschow, die alten Loyalitätsbedingungen unterschätzt.
    Er blickte auf, sah die hohe gewölbte Stirn, die eiskalten Augen, die dichten, grauen Koteletten und den grimmigen Mund mit den herabgezogenen Mundwinkeln. Und es wurde ihm klar, daß dieser Mann möglicherweise sein Gegner sein könnte.
    Gorbatschow kam um den Schreibtisch herum und gab dem Besucher die Hand – eine trockene, fest zugreifende Hand. Wie immer, wenn er sich mit jemandem unterhielt, wahrte er konsequent Blickkontakt, als hielte er nach Verschlagenheit oder Ängstlichkeit Ausschau. Im Gegensatz zu den meisten seiner Vorgänger freute es ihn, wenn er nichts von beidem fand. Er deutete mit einer Handbewegung auf die Berichte aus Übersee. Der General nickte. Er hatte sie alle schon gesehen, und nicht nur sie. Er mied Gorbatschows Blick.
    »Machen wir es kurz«, sagte Gorbatschow. »Wir wissen, was die schreiben. Es ist eine Lüge. Wir dementieren weiter. Es darf nicht zugelassen werden, daß sich diese Lüge

Weitere Kostenlose Bücher