Der Unterhändler
Besuch war nicht viel zu halten.
Professor Veerman traf um 18 Uhr ein und war um Mitternacht mit seiner Untersuchung fertig. Er kam über die Straße herüber und trank mit dem überaus müden Chefinspektor Dykstra eine Tasse Kaffee.
»Nun, Herr Professor?«
»Sie bekommen in Bälde meinen vollständigen Bericht«, sagte der Pathologe.
»Nur die Umrisse, bitte.«
»Also gut. Todesursache eine massive Lazeration des Gehirns durch eine Kugel, vermutlich neun Millimeter, auf kurze Entfernung durch die linke Schläfe abgefeuert und durch die rechte ausgetreten. Ich würde nach einem Loch im Holz irgendwo in dieser Kneipe suchen.«
Dykstra nickte.
»Zeitpunkt des Todes?« fragte er. »Ich halte nämlich zwei Amerikaner fest, die die Leiche entdeckt haben. Angeblich wollten sie ihn besuchen, weil er ein Bekannter war. Allerdings sind sie in das Lokal eingebrochen.«
»Gestern mittag«, sagte der Professor. »Ein paar Stunden hin oder her. Ich werde später, wenn die Analysen gemacht sind, mehr sagen können.«
»Aber gestern mittag waren die Amerikaner in der Polizeidirektion in Arnheim«, sagte Dykstra. »Das läßt sich nicht bestreiten. Um zehn Uhr hatten sie einen Autounfall, und um vier ließ man sie gehen, worauf sie sich im Rijn Hotel einquartierten. Sie hätten während der Nacht das Hotel verlassen, hierherfahren, die Tat begehen und bis Tagesanbruch wieder zurück sein können.«
»Unmöglich«, sagte der Professor und erhob sich. »Dieser Mann ist nicht später als gestern um 14 Uhr gestorben. Wenn sie in Am-heim waren, sind sie unschuldig. Tut mir leid. So sehen die Fakten aus.
Dykstra fluchte. Sein Sergeant mußte die Beschattung eine halbe Stunde, nachdem der Killer die Kneipe verlassen hatte, aufgenommen haben.
»Meine Arnheimer Kollegen sagen mir, Sie wollten nach Vlissingen zur Fähre, als Sie gestern dort abfuhren«, sagte er zu Sam und Quinn, als er sie in den frühen Abendstunden auf freien Fuß setzte.
»Ganz recht«, antwortete Quinn und sammelte sein mehrmals durchsuchtes Gepäck ein.
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie ihre Fahrt dorthin fortsetzen wollten«, sagte der Chefinspektor. »Mr. Quinn, mein Land begrüßt gern ausländische Besucher, aber überall, wohin Sie den Fuß setzen, bekommt die holländische Polizei anscheinend viel zusätzliche Arbeit aufgebürdet.«
»Das tut mir wirklich leid«, sagte Quinn herzlich. »Aber wir haben jetzt die letzte Fähre verpaßt und sind hungrig und müde. Könnten wir die Nacht über noch in unserem Hotel bleiben und morgen früh weiterfahren?«
»In Gottes Namen«, sagte Dykstra. »Ich werde Sie von ein paar meiner Leute aus der Stadt hinaus eskortieren lassen.«
»Ich komme mir langsam wie eine königliche Hoheit vor«, sagte Sam, als sie im Hotel Central ins Badezimmer ging. Als sie wieder herauskam, war Quinn fort. Er kehrte um 5Uhr zurück, versteckte den Smith-&-Wesson-Revolver wieder in dem Geheimfach in Sams Kosmetikkoffer und legte sich aufs Ohr. Zwei Stunden später wurde ihnen der Morgenkaffee gebracht.
Auf der Fahrt nach Vlissingen ereignete sich nichts Besonderes. Quinn war in Gedanken verloren. Irgend jemand machte einen der Söldner nach dem andern kalt, und jetzt wußte er wirklich nicht, wohin er sich noch wenden sollte. Außer vielleicht … noch einmal Haymans Archiv durchstöbern. Möglicherweise ließe sich noch etwas herausholen, aber es war unwahrscheinlich, ganz unwahrscheinlich. Nun, nach Pretorius’ Tod, war die Spur so kalt wie ein Kabeljau, der seit einer Woche tot ist –, und ebenso übel roch sie auch.
Neben der Auffahrrampe zur Fähre nach England stand ein Streifenwagen der Polizei von Vlissingen. Die beiden Beamten darin sahen, wie der Opel Ascona langsam in den Rumpf des Roll-on-roll-off-Schiffes hineinfuhr, warteten aber, bis sich die Tore geschlossen hatten und die Fähre in die Scheldemündung hinausfuhr, ehe sie ihre Zentrale informierten.
Es war eine ruhige Überfahrt. Sam faßte ihre Notizen zu einem Bericht zusammen, der sich zu einer Beschreibung europäischer Polizeireviere auswuchs; Quinn las die erste Londoner Zeitung, die er seit zehn Tagen gesehen hatte. Dabei entging ihm eine Meldung mit der Überschrift DRASTISCHES REVIREMENT IM KGB ? In ihrem Bericht aus Moskau behauptete die Nachrichtenagentur Reuter, unterrichtete Kreise deuteten bevorstehende personelle Veränderungen an der Spitze der sowjetischen Geheimpolizei an.
Im dunklen Vorgarten eines Hauses am Carlyle Square
Weitere Kostenlose Bücher