Der Unterhändler
gehört hatte, war über die Forderung Washingtons nicht ungehalten. Sollte schließlich etwas schiefgehen …
Eine Stunde, nachdem Quinn den Cabinet Room verlassen hatte, wurde er in das private Arbeitszimmer im zweiten Stock des Weißen Hauses geführt. Odell hatte ihn persönlich hingebracht, nicht durch den Rosengarten mit seinen Stechpalmen und Buchsbäumen, wo die Magnoliensträucher blattlos in der herbstlichen Kühle dastanden, denn aus einer Entfernung von einer halben Meile wurde das Weiße Haus von Kameras mit weitreichenden Objektiven beobachtet. Der Vizepräsident führte Quinn statt dessen durch den Korridor im Untergeschoß bis zu einer Treppe, die zum Korridor im Erdgeschoß führte.
Präsident Cormack trug einen dunklen Anzug, er sah blaß und müde aus. Um den Mund zeigte sich die Belastung in tief eingekerbten Falten, unter den Augen lagen von der Schlaflosigkeit herrührende dunkle Schatten. Er gab Quinn die Hand und nickte dem Vizepräsidenten zu, der sich zurückzog.
Dann zeigte er auf einen Stuhl und setzte sich selbst hinter seinen Schreibtisch. Damit schuf er zu seinem Schutz eine Barriere, da er seine Haltung wahren wollte. Er setzte gerade zum Sprechen an, als ihm Quinn zuvorkam.
»Wie geht es Mrs. Cormack?«
Nicht »First Lady«. Nur Mrs. Cormack, seiner Frau. Er war verblüfft.
»Ach, sie schläft jetzt. Es war ein furchtbarer Schock für sie. Sie steht jetzt unter Beruhigungsmitteln.« Er hielt inne und fuhr dann fort: »Sie haben das schon einmal erlebt; Mr. Quinn?«
»Schon oft, Sir.«
»Nun, wie Sie sehen, hinter all dem Pomp und Zeremoniell nur ein Mensch, ein tief beunruhigter Mann.«
»Ja, Sir. Ich weiß. Erzählen Sie mir bitte von Ihrem Sohn.«
»Simon. Was soll ich über ihn sagen?«
»Was er für ein Mensch ist. Wie er reagieren wird auf … diese Sache. Warum haben Sie ihn erst so spät bekommen?«
Niemand im Weißen Haus hätte gewagt, eine solche Frage zu stellen. John Cormack blickte über den Schreibtisch. Er war selbst groß, aber dieser Mann erreichte seine einszweiundneunzig. Korrekter grauer Anzug, gestreifte Krawatte, weißes Hemd – alles geborgt, obwohl Cormack davon nichts wußte. Glatt rasiert, tief gebräunt. Das gegerbte Gesicht, die ruhigen grauen Augen vermittelten den Eindruck von Stärke und Geduld.
»So spät. Nun ja, ich weiß nicht. Ich habe mit dreißig geheiratet; Myra war einundzwanzig. Ich war damals ein junger Professor. Wir dachten, wir würden in zwei, drei Jahren Kinder bekommen. Aber es kam nicht dazu. Wir warteten. Die Ärzte sagten, es gebe keinen Grund … Dann, nach zehn Ehejahren, kam Simon. Ich war inzwischen vierzig, Myra einunddreißig. Wir haben nie mehr ein Kind bekommen … nur Simon.«
»Sie lieben ihn sehr, nicht?«
Präsident Cormack starrte Quinn überrascht an. Die Frage war so unerwartet gekommen. Er wußte, daß Odell seinen beiden erwachsenen Sprößlingen völlig entfremdet war, aber es war ihm nie bewußt gewesen, wie sehr er seinen einzigen Sohn liebte. Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich auf die Kante eines Stuhls, nun Quinn viel näher.
»Mr. Quinn, Simon ist für mich, ist für uns beide unser ein und alles. Bringen Sie ihn uns zurück.«
»Erzählen Sie mir bitte von seiner Kindheit, als er noch klein war.«
Der Präsident sprang auf.
»Ich habe ein Foto«, sagte er stolz. Er ging zu einem Kabinettschrank und kehrte mit einem gerahmten Schnappschuß zurück. Die Aufnahme zeigte einen kräftigen kleinen Jungen von vier oder fünf Jahren in der Badehose am Strand; er hielt ein Eimerchen und einen Spaten in den Händen. Hinter ihm hockte fröhlich lachend der stolze Vater.
»Es wurde 1975 auf Nantucket aufgenommen. Ich war gerade in New Haven in den Kongreß gewählt worden.«
»Erzählen Sie mir von Nantucket«, sagte Quinn leise.
Präsident Cormack sprach eine Stunde lang. Es schien ihm gutzutun. Als Quinn aufstand, um sich zu verabschieden, kritzelte Cormack eine Nummer auf einen Zettel und reichte ihn Quinn.
»Das ist mein Privatanschluß. Nur ganz wenige Leute haben die Nummer. Darunter bin ich tagsüber und auch nachts zu erreichen …« Er streckte die Hand aus. »Viel Glück, Mr. Quinn. Gott mit Ihnen.« Er war bemüht, sich zu beherrschen. Quinn nickte und ging rasch hinaus. Er hatte die schreckliche Wirkung schon an anderen gesehen.
Quinn hielt sich noch im Waschraum auf, als Philip Kelly zurück zum Edgar J . Hoover Building fuhr, wo, wie er
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