Der Untoten Zaehmung
eingehen.
Als er den höchsten Punkt der Kathedrale erreicht hatte, saß Nigromante am Rand. Will widerstand dem Drang, hinzulaufen und den Nekro-Vampir hinunterzustoßen. Der Sturz würde ihn nicht umbringen. Nein, dafür benötigte Will etwas anderes.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte er sein Schwert aus der Scheide gezogen. Doch Nigromante war schneller, und Wills Klinge erwischte nur den Saum seines Umhangs.
Will wirbelte herum und hielt das Schwert bereit, aber Nigromante stand außerhalb seiner Reichweite und sah Will mit einem amüsierten Lächeln an. »Ihr braucht Blut, Shakespeare. Ihr seid schwach und langsam.«
Nigromante sah genauso aus, wie der Mann im George ihn beschrieben hatte. Er sprach zwar Englisch ohne spanischen Akzent, doch irgendwo an seinem Stammbaum schien ein Spanier zu baumeln. Sein Aussehen und sein Name wiesen darauf hin. Sein verräterisches Verhalten belegte es.
»Ihr seid jung und dumm«, sagte Will. »Überall in der Stadt spricht man über die wilde Bestie, die den Bürgern die Kehlen herausreißt.« Will schüttelte den Kopf. »Und dieser Umhang.« Er kam ein wenig näher. »Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ist die beste Möglichkeit, um jung zu sterben.«
»Wer würde mich töten?« Nigromante grinste. »Ihr?«
»Ich werde es versuchen.«
»Es wird Euch nicht gelingen.«
»Ihr seid bereits einmal gefangen genommen worden.« Will lächelte ebenfalls. »Und das von Menschen.«
Nigromante hob eine buschige schwarze Braue. »Da war ich noch kein Vampir.«
Will hatte sich bereits gefragt, wie Nigromante gefasst werden konnte, wenn er so viel stärker, schneller und bösartiger war als jedes lebende Wesen, und warum er überhaupt zugelassen hatte, dass man ihn hinrichtete .
»Ihr wurdet im Gefängnis gewandelt?«, fragte Will. Nigromantes Lippen verzogen sich. »Von wem?«
»Das zu enthüllen wäre ein schneller Weg zu einem langsamen Tod.«
Will konnte die Menge der Untoten, denen er in seinem Unleben begegnet war, an einer Hand abzählen. Vampire erschufen selten neue Vampire. Die meisten wollten selbst die stärksten und schrecklichsten Wesen sein. Sie mochten keine Konkurrenz, und wenn man sie reizte, schlugen sie zurück. Wenn zwei Vampire kämpften, blieb nur einer übrig, was ihre Anzahl erheblich einschränkte.
Wenn Nigromante Angst vor seinem Schöpfer hatte, musste dieser Vampir sehr alt sein. Vielleicht sogar älter als Will.
Er hatte keine Ahnung, wer das sein konnte.
»Warum sterben, wenn man nicht muss?«, fragte Will.
»Es war ein Teil des Plans.«
»Ihr starbt und kamt dann wieder zurück«, überlegte Will laut. »Nachdem die Verschwörung mit Euch gestorben war, würde man nicht so schnell mit einer weiteren rechnen.«
Nigromante zuckte mit den Schultern, aber Will wusste, dass er richtig geraten hatte.
»Man hat mir von Euch erzählt«, sagte Nigromante. »Ich weiß, dass Ihr vorgebt, ein Mensch zu sein. Dass Ihr so wenig Blut wie möglich zu Euch nehmt, als ob es eine Stärke wäre, darauf zu verzichten, und keine Schwäche.«
»Es ist eine Stärke«, sagte Will leise.
»Wie kann das sein, wenn es das Blut ist, das uns jedem anderen Wesen auf dieser Welt überlegen macht?«
»Es macht uns nicht überlegen; es macht uns gering. Je mehr menschliches Blut wir trinken, desto unmenschlicher werden wir.«
»Wenn ich ein Mensch hätte bleiben wollen, wäre ich kein Vampir geworden.« Nigromante sah mich höhnisch an. »Was ist Eure Entschuldigung?«
Will hatte nicht vor, diesem Kind die Gründe mitzuteilen, die ihn dazu gebracht hatten, sich in einen Vampir verwandeln zu lassen. Stattdessen wollte er ihn lieber töten. Aber zuerst musste er herausfinden, was Nigromante mit der Königin vorhatte, damit er ihn aufhalten konnte.
»Vermisst Ihr es nicht?«, raunte Nigromante. »Die Wärme, den Geschmack, die Energie, die Eure Adern durchströmt? Mit genügend Blut können wir alles tun.«
»Das bezweifle ich«, sagte Will.
Nigromante lächelte nur und sprach weiter wie die Schlange im Garten Eden. »Und wenn man das Blut einer Frau trinkt, während man sie nimmt, strahlt die ganze Welt.«
»Nicht für sie«, erwiderte Will.
»Dann macht Ihr es nicht richtig.«
Nigromante wollte ihn provozieren, und es funktionierte. Will wollte nicht daran erinnert werden, wie er sich kurz nach seiner Wandlung benommen hatte.
Er war Nigromante recht ähnlich gewesen.
»Woher wisst Ihr von mir?«, fragte sein Gegenüber.
»Ich spüre tote Menschen«,
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