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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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hatte, war zwiespältig. Alles in allem vermittelte Nono den Eindruck, zwar eine große Schnauze zu riskieren, aber nie zur Tat zu schreiten. Nach dem ersten Treffen meldeten sich die Damen in fast jedem Fall mit der Bitte um Fortsetzung, doch Chaplain hielt sie keiner Antwort mehr für würdig. Narcisse fragte sich zeitweise, ob Nono überhaupt aus dem Haus ging.
    Doch es gab eine Ausnahme: sasha.com, die Seite einer Speed-Dating-Agentur. Offenbar hatte Nono fast jedes der von Sasha organisierten Treffen besucht, die in Bars, Restaurants oder Nachtklubs stattfanden. Narcisse konnte den Bewegungsradius des Jägers dank der Mails verfolgen, die den Abonnenten von sasha.com die Adressen der Treffpunkte bekannt gaben. Schade nur, dass sich nicht feststellen ließ, was sich im »Real Life« abgespielt hatte.
    Was blieb, waren die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter. Natürlich hätte er die Frauen zurückrufen, sie treffen und ausfragen können. Vielleicht hätte er dank ihrer Aussagen herausgefunden, wonach er eigentlich suchte. Doch er hatte keine Lust, die Flirts eines Abends aufzuwärmen.
    Die einzige Frau, die ihn wirklich interessierte, war die vom 29. August.
    Arnaud, ich bin es. Wir treffen uns zu Hause …
    Er musste tatsächlich wieder von vorn anfangen. Musste zu den Treffen von sasha.com gehen und der Spur seines eigenen Schattens folgen. Musste herausfinden, wonach sein Alter Ego gesucht hatte, und sich dann selbst auf die Suche machen.
    In der Nacht hatte er im Forum mehrere Nachrichten hinterlassen. Als er jetzt seine Mailbox öffnete, stellte er fest, dass er für diesen Abend zu einem Date ins Pitcairn, einer Bar im Marais-Viertel, eingeladen worden war. Er war sich nicht ganz sicher, wie viele der Abonnenten überhaupt wussten, was Pitcairn bedeutete – doch ihm war es merkwürdigerweise bekannt: Es war der Name der Insel, auf der sich die Meuterer der Bounty niedergelassen hatten und deren Einwohner sich noch heute auf die berühmten Vorfahren berufen. Lebhaft konnte er sich die tropische Inselatmosphäre der Bar vorstellen.
    Im Bad stellte er fest, dass sich der Zustand seiner Nase zusehends verbesserte. Die Schwellung ging zurück, die Verletzungen vernarbten. Trotzdem fand er sein Aussehen nicht gerade ideal für einen abendlichen Flirt mit Single-Frauen. Doch im Vergleich zu seinen Erfahrungen als Obdachloser und verrückter Maler war diese Form der Recherche deutlich angenehmer.
    Er bemühte sich, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. Allerdings konnte er den Mord an Jean-Pierre Corto, die Schießerei in der Rue de Montalembert und die dumpfen Schläge seiner Nase gegen den Waschbeckenrand nicht wirklich ausblenden.
    Er ging nach unten und machte sich einen Kaffee. Es war zehn Uhr morgens. Mit der Tasse in der Hand holte er die Post, die er am Vortag auf der Küchenanrichte zurückgelassen hatte, und setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch. Nachdem er die Werbung beiseitegelegt hatte, widmete er sich den Behördenbriefen. Seine lange Abwesenheit hatte offenbar zu einer gewissen Unruhe geführt. Die Bank hatte ihm die Kontoauszüge zugeschickt, und die Wohnungsgesellschaft reklamierte ihre monatlichen zweitausendzweihundert Euro Miete, ohne allerdings mit Maßnahmen zu drohen. Außerdem war eine Versicherungsprämie überfällig. Alles andere wurde als Lastschrift von seinem Konto abgebucht, das deutlich im Plus stand.
    Der letzte Kontoauszug wies ein Guthaben von dreiundzwanzigtausend Euro auf – eine geradezu spektakuläre Summe. Nach kurzer Suche in der Wohnung fand er frühere Kontoauszüge und stellte fest, dass Chaplain im Mai des vergangenen Jahres ein Konto bei der HSBC eröffnet hatte und dass sich sein Guthaben seither immer in diesem Bereich bewegte, obwohl Nono weder Überweisungen bekam noch Schecks einlöste. Woher also kam die Kohle? Den Kontoauszügen war zu entnehmen, dass er in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Beträge bar einzahlte: mal waren es zweitausend Euro, mal dreitausend, tausendsiebenhundert oder viertausendzweihundert. Was auch immer Nono tat – er arbeitete auf jeden Fall schwarz.
    Einen kurzen Moment lang fragte er sich, ob Nono ein Gigolo war. Doch die Chats mit seinen Flirtpartnerinnen ließen nicht darauf schließen, dass es hier um bezahlte Gunst ging. Eines allerdings war sicher: Er arbeitete weder als Werbezeichner noch als Maler. Der Zeichentisch und das Atelier waren Kulisse, genau wie die Umzugskartons damals in Freires Haus. Aber wer

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