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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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wenigen noch erleuchteten Fenster fror ihn tief im Herzen.
    Er dachte an das, was er an diesem Abend erfahren hatte. Frauen, die bei Sasha verschwunden waren. Nono, der verdächtigt wurde. Nono, der den Damen beim Speed-Dating Fragen stellte und etwas zu suchen schien. Was mochte es sein? Immer wieder ging er die neuerlichen Rätsel durch. War er etwa doch kein Obdachlosenmörder, sondern tötete Single-Frauen? Oder beides? Wütend versuchte er diese Gedanken zu verscheuchen. Er musste sich zwingen, Neutralität zu wahren und sich selbst das zuzugestehen, was man jedem Verdächtigen gewährte: die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils.
    Das aus Lofts bestehende Dorf in der Rue de la Roquette schlief tief und fest. Chaplain genoss es, das Pflaster unter den Sohlen zu spüren. Es war ein tröstliches Gefühl. Er fühlte sich in seinem Atelier inzwischen richtig zu Hause. Vorsichtig ließ er die Hand durch die Bambusstängel und die zerbrochene Scheibe gleiten. Einen Schlüssel zu seiner Unterkunft hatte er bisher nicht gefunden. Er schob den Riegel zurück, drückte die Klinke und tastete nach dem Lichtschalter. Im selben Augenblick bekam er einen heftigen Schlag auf den Schädel. Er sackte auf dem Betonboden zusammen, brennender Schmerz durchzuckte seinen Kopf, und er sah tausend Sternchen. Doch er war bei Bewusstsein. Dem Angreifer war es nicht gelungen, ihn k.o. zu schlagen.
    Er nutzte seinen winzigen Vorteil und hechtete zur Treppe. Da zog es ihm die Beine weg. Er sah fast nichts mehr. Er hatte das Gefühl, dass man das Blut in seinem Schädel durcheinanderschüttelte. Flach auf dem Bauch liegend drehte er sich um und erhaschte ein unscharfes Bild seines Widersachers. Der Mann stand unmittelbar hinter ihm und hielt seine Beine umklammert. Chaplain befreite einen seiner Füße und versetzte dem Mann einen heftigen Tritt mitten ins Gesicht. Der Kerl sprang wie von der Tarantel gestochen auf und stürzte erneut auf Chaplain los. Ein Messer blitzte in seiner Hand auf. Chaplain rannte die Treppe hinauf, verfehlte eine Stufe, richtete sich wieder auf und kroch auf allen vieren weiter.
    Doch der Mann warf sich wieder auf ihn. Chaplain holte mit dem Ellbogen aus und stieß den Angreifer nach hinten, wo er sich in den Stahltauen verfing, die als Geländer dienten. Gut so! Die Taue vibrierten wie Harfensaiten. Bei diesem Geräusch kam ihm eine Idee. Er ging zu dem Kerl zurück, der benommen in den Seilen hing, packte ihn am Kragen, steckte seinen Kopf zwischen die Taue und wickelte sie ihm ein paarmal um den Hals, wie es die Catcher im Ring manchmal machten. Der Mann schrie auf, doch Chaplain ließ nicht locker. Hier gab es nur eine Alternative: töten oder getötet werden.
    Er zog noch einmal kräftig, dann ließ er plötzlich los.
    Sein Gegner hatte ihm mit dem Knie einen heftigen Stoß in den Unterleib versetzt. Er spürte nicht einmal Schmerz. Jedenfalls nicht nur. Ihm war, als hätte man ein riesiges Loch in sein tiefstes Inneres gerissen. Sein Atem stockte, sein Herzschlag auch. Er konnte nichts mehr sehen. Mit beiden Händen griff er an seine Genitalien, als könnte er den Schmerz herausreißen, strauchelte und fiel rückwärts die Treppe hinunter.
    Er stieß sich irgendwo den Kopf und kollerte über den Boden. Tuben und Pinsel regneten auf ihn herab. Die Ablage für seine Malutensilien! Er streckte einen Arm aus, zog sich an dem schwankenden Regal hoch und drehte sich um. Der Mann nahm schon wieder Anlauf. Chaplain parierte den Aufprall mit der rechten Seite, ohne hinzufallen. Gemeinsam krachten sie in das Regal. Flaschen, Tiegel und Behältnisse polterten zu Boden, zersprangen oder rollten davon.
    Chaplain stieß den Angreifer zurück, rutschte dabei aber auf einer Pfütze aus. Er erkannte den Geruch sofort. Leinöl. Offenbar eine unterschwellige Erinnerung. Außerdem fiel ihm ein, dass Leinöl sich bei Zimmertemperatur leicht selbst entzündete. Er tastete nach der Flasche, deren Verschluss sich geöffnet hatte, griff nach einem der herumliegenden Tücher, tränkte es mit Öl und begann mit der Kraft der Verzweiflung zu reiben.
    Der Schatten setzte erneut auf ihn an.
    Chaplain rieb weiter. Der Stoff wurde bereits warm.
    In dem Augenblick, als der Mann nach ihm griff, ging das Tuch in Flammen auf. Plötzlich wurde es sehr hell im Raum. Chaplain drückte dem Kerl das brennende Stück Stoff auf Gesicht oder Hals – genau konnte er es nicht sehen, weil die Flamme ihn geblendet hatte. Die Jacke des Mannes

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