Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
mit Ihrem Bruder erfahren?«
    »Beim ersten oder beim zweiten Mal?«
    Da man nicht zweimal sterben konnte, musste Christian Miossens also verschwunden sein. Und zwar gleich zweimal !
    »Sprechen wir zunächst vom ersten Mal.«
    »Ich wurde von der Polizei informiert. Christians Arbeitgeber hatte dort angerufen, weil er seit zwei Wochen nicht zur Arbeit gekommen war. Er hatte sich weder entschuldigt noch eine Krankmeldung geschickt, was absolut nicht seiner Art entspricht.«
    »Wann genau wurden Sie informiert?«
    »Am 10. Juli 2008. Ich erinnere mich noch ganz genau.«
    Chaplain notierte das Datum und verglich es mit seinen Aufzeichnungen. Miossens hatte sich am 23. Mai 2008 zum ersten Mal mit Anne-Marie Straub getroffen. Nicht einmal zwei Monate später verschwand er. Bestand da ein Zusammenhang?
    »Haben Sie sein Verschwinden nicht bemerkt?«
    »Haben Sie meine Aussage nicht gelesen?«
    »Nein. Wenn ich Zeugen vernehme, möchte ich mir nicht schon im Vorfeld eine Meinung bilden.«
    »Eine merkwürdige Methode!«
    »So arbeite ich nun einmal. Warum haben Sie das Verschwinden Ihres Bruders nicht bemerkt?«
    »Weil wir seit zwölf Jahren nicht mehr miteinander reden.«
    »Und warum das?«
    »Eine dumme Geschichte. Es geht um eine Erbschaft. Eine Wohnung in Paris. Wie gesagt – dumme Sache.«
    »Und was ist mit den Leuten, die ihm nahestanden? Haben sie nichts bemerkt?«
    »Christian hat niemanden, der ihm nahesteht.« Ihre Stimme zitterte. »Er war immer ganz allein, verstehen Sie? Er verbrachte sein Leben vor dem Computer, mit Chats bei Kontaktbörsen im Internet. Das haben wir aber erst später erfahren. Er traf sich mit Frauen. Mit Professionellen, wenn Sie wissen, was ich meine …«
    Chaplain notierte jede Information und versuchte sie in das Puzzle zu integrieren. Nathalie Forestier hatte von zweimaligem Verschwinden gesprochen.
    »Wann hat man ihn wiedergefunden?«
    »Im September. Tatsächlich hat die Polizei ihn bereits Ende August aufgegriffen, mich aber erst Mitte September informiert.«
    »Warum so spät?«
    Nathalie antwortete nicht sofort. Sie schien sich in zunehmendem Maß über die Wissenslücken Ihres Gesprächspartners zu wundern.
    »Weil Christian behauptete, David Longuet zu heißen. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wer er war.«
    Die Information traf Chaplain wie ein Schlag. Christian Miossens, einer der Auserwählten von Feliz, hatte ein dissoziatives Syndrom durchgemacht. Er war also auch ein »Reisender ohne Gepäck«.
    »Wo wurde er aufgegriffen?«
    »Zusammen mit anderen Obdachlosen in Paris-Plage. Er hatte das Gedächtnis verloren und wurde zunächst in die psychiatrische Station der Präfektur von Paris eingeliefert.«
    »Das ist die übliche Vorgehensweise.«
    »Anschließend kam er nach Sainte-Anne.«
    »Erinnern Sie sich an den Namen des Psychiaters, der ihn behandelte?«
    »Soll das ein Witz sein? Christian hat mehr als einen Monat in dieser Klinik verbracht, und ich war jeden Tag bei ihm. Der Arzt heißt François Kubiela.«
    Chaplain notierte den Namen und versah ihn mit einem Ausrufezeichen. Vordringlich befragen!
    »Ein sehr charmanter, äußerst verständnisvoller Mann«, fuhr die Frau fort. »Offenbar ein Experte für diese Art Krankheit.«
    »Hat Kubiela Ihnen mitgeteilt, wie die Krankheit heißt, an der Ihr Bruder litt?«
    »Er hat mir etwas über die dissoziative Flucht erzählt und von Realitätsverlust durch Amnesie und ähnlichen Phänomenen gesprochen. Er teilte mir mit, dass er einen ähnlichen Fall behandelte; es war ein Patient aus Lorient, den er eigens nach Paris hatte verlegen lassen.«
    Chaplain unterstrich Kubielas Namen dreimal. Der Mann schien ein Experte zu sein. Er musste unbedingt mit ihm sprechen.
    »Kubiela wirkte ziemlich fassungslos«, fuhr Nathalie fort. »Er meinte, dass dieses Syndrom ausgesprochen selten sei. Bisher ist in Frankreich wohl kein einziger Fall aufgetreten. Irgendwann sagte er einmal scherzhaft: ›Wir haben es da mit einer amerikanischen Spezialität zu tun.‹«
    »Wie hat er Ihren Bruder behandelt?«
    »Das weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, dass er alles versucht hat, um sein Gedächtnis wieder zu beleben. Allerdings ohne Erfolg.«
    Chaplain wechselte das Thema.
    »Auf welche Weise hat man Ihren Bruder schließlich identifiziert? Wie kam man auf Sie?«
    »Sie wissen ja wirklich überhaupt nichts …«
    Innerlich bedankte sich Chaplain bei dieser Frau, dass sie nicht einfach aufgelegt hatte. Seine Ahnungslosigkeit war fast

Weitere Kostenlose Bücher