Der Väter Fluch
George seufzte. »Aber selbst das hat sie nicht zur Vernunft gebracht. Sie konnte nicht mit dem Flirten aufhören. Daher hat Philip sie schließlich vor die Tür gesetzt. Er gab ihr etwas Geld, unter der Bedingung, dass sie ihre Sachen packt und verschwindet. Darreil war damals zehn. Der Junge hat sich fast die Augen ausgeweint. Mr. Holt konnte es irgendwann nicht mehr aushalten und holte mich aus dem Haushalt seines Vaters, damit ich mich um Darreil kümmerte. Ich war derjenige, der dem Jungen nachts die Hand hielt, wenn er nicht schlafen konnte.«
»Aber trotz allem hat er Darrell bei sich behalten. Warum?«
»Der Junge war sein eigenes Fleisch und Blut - möglicherweise sein Bruder, vielleicht sein Sohn, jedenfalls sein eigen Fleisch und Blut. Als er diese Frau vor die Tür setzte, teilte Philip seinem Vater mit, dass er Darreil nicht allein aufziehen könne. Deshalb bin ich in diesem Haushalt hier gelandet.« George stellte die Teetasse auf die Granitarbeitsfläche. »Sie starb wenige Jahre später... nachdem Mr. Holt sie hinausgeworfen hatte.«
»Wie starb sie?«
»Irgendeine Infektion, Wundbrand... ihr Bein musste amputiert werden. Es war schrecklich. Mr. Holt kam für die Einäscherung auf. Glaubte, das wäre nur anständig.« Was für ein netter Mensch, dachte Decker. Doch durfte er sich als Richter aufspielen? Warum eigentlich nicht? Er kümmerte sich um seine Tochter, auch nach seiner Scheidung, er kümmerte sich um die Söhne seiner Frau, liebte sie, erzog sie und behandelte sie, auch wenn es ihn manchmal den letzten Nerv kostete, wie seine eigenen Kinder - was sie dem Gesetz nach ja auch waren. Er hatte verdammt noch mal das Recht, den Richter zu spielen.
»Und der kleine Bruder?«, wollte Decker wissen. »Was geschah mit dem kleinen Jungen?«
George zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht, Sir. Darreil... hat mir einmal erzählt, der Junge sei gestorben. Und dann hat er wieder behauptet, der Junge lebe noch und sei von einer wirklich reichen Familie adoptiert worden. Irgendwann später hat er mir gesagt, der Junge sei ein Black Muslim geworden. Er erfindet Geschichten - so ist Darreil nun mal. Er hat sich schon immer alle möglichen Geschichten ausgedacht.« Decker nickte. »Vielen Dank für den Tee, George.«
»Keine Ursache.« George drehte sich zu Decker um. »Bitte denken Sie nicht zu schlecht von Darrell. Er hatte es wirklich nicht leicht.«
»Das sehe ich auch so«, erwiderte Decker. »Wann haben Sie das letzte Mal etwas von Darrell gehört, George? Und diesmal muss ich die Wahrheit erfahren.«
»Vor drei Tagen«, gestand der Butler. »Der Junge wollte Geld... genau wie Mr. Holt gesagt hatte.«
»Und, haben Sie es ihm gegeben?«
»Vierhundert Dollar... von meinem Ersparten. Das war zwar nicht sehr klug, aber wie ich schon sagte - der Junge hatte es nicht leicht.«
»Haben Sie eine Idee, wo er sein könnte?«
»Nein, Sir. Bis vor drei Tagen hatte ich drei Jahre lang nichts von ihm gehört.«
»Welchen Eindruck machte er auf Sie? Einen nervösen oder eher ruhigen?«
»Er war ganz fahrig. Ich dachte, es sei deshalb, weil er wieder wegwollte, bevor sein Vater nach Hause kam. Ich habe ihm noch gesagt, er könne über Nacht bleiben... und dass sein Vater nicht so bald zurückkommen würde. Aber er nahm nur das Geld und ist gleich wieder verschwunden.«
»Und was hat er zu Ihnen gesagt?«
»Er sagte >Danke, George. Ich danke dir. Ich hab dich lieb.<« Dem alten Mann traten Tränen in die Augen. »Ich glaube, er hat es ernst gemeint.«
»Davon bin ich überzeugt.« Decker zögerte, fügte dann aber hinzu: »Ach, übrigens, dieser verschwundene Bruder von Darreil... war sein Name vielleicht Richard... Ricky als Koseform?«
George sah ihn mit großen Augen an. »Woher wissen Sie das?«
»Nur eine Vermutung, Sir.« Decker klopfte dem Butler freundschaftlich auf die Schulter. »Nur eine Vermutung.«
30
Decker saß vor Mervs Computer. »Wie viele Jahre stand Moke auf der Gehaltsliste?«, wollte er wissen.
»Offiziell?« Oliver legte eines der Geschäftsbücher zur Seite und nahm ein anderes in die Hand. »Ich hab hier insgesamt sechs Schecks, die auf ihn ausgestellt wurden, der erste vor etwa drei Jahren.«
»Und in welcher Höhe noch mal?«, fragte Decker. »Fünf Riesen pro Scheck? Sieh mich nicht so an, Oliver. Ich hab zurzeit verdammt viel um die Ohren.«
Oliver versuchte, sein höhnisches Grinsen zu verbergen. »Der erste Scheck war auf tausendfünfhundert Dollar ausgestellt, der
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