Der Vampir der mich liebte
leben.«
»Aber Menschen töten ständig andere Menschen. Und sie müssen sich nicht mal von ihnen ernähren oder ihr Blut trinken.«
»Nicht alle Menschen tun so etwas.«
»Das stimmt«, sagte er. »Aber wir Vampire sind alle Mörder.«
»In gewisser Weise seid ihr wie Löwen.«
Eric sah mich erstaunt an. »Löwen?«, sagte er leise.
»Alle Löwen töten.« In dem Augenblick erschien mir diese Idee wie eine Erleuchtung. »Ihr seid wie Raubtiere, wie Löwen und andere Fleischfresser. Ihr nutzt das, was ihr tötet. Ihr müsst töten, um zu essen und dadurch zu leben.«
»Der Haken an dieser tröstlichen Theorie ist nur, dass wir fast genauso aussehen wie ihr. Und einst waren wir sogar Menschen. Aber wir können euch ebenso lieben wie wir uns von euch ernähren. Man kann wohl kaum behaupten, dass der Löwe die Antilope liebkosen will.«
Und plötzlich lag da etwas in der Luft, was nur Sekunden vorher noch nicht da gewesen war. Ich fühlte mich ein wenig wie eine Antilope, an die sich jemand anpirschte - ein Löwe, der ganz aus der Art schlug.
Ich hatte mich viel wohler gefühlt, als ich mich um ein verängstigtes Opfer hatte kümmern müssen.
»Eric«, sagte ich sehr vorsichtig, »du weißt, dass du mein Gast bist. Und du weißt auch, wenn ich dich rauswerfe - was ich sicher tue, falls du dich nicht benimmst -, dann stehst du da draußen mitten auf irgendeinem Feld in einem Bademantel, der zu kurz für dich ist.«
»Habe ich irgendwas gesagt, das dir unangenehm ist?« Er war (anscheinend) völlig zerknirscht, seine blauen Augen glühten vor Aufrichtigkeit. »Das tut mir leid. Ich wollte nur deinen Gedanken weiterführen. Hast du noch etwas >TrueBlood< da? Was hat Jason für mich zum Anziehen mitgebracht? Dein Bruder ist sehr clever.« Er klang nicht gerade hundertprozentig überzeugt, als er das sagte. Aber das warf ich ihm nicht vor. Jasons Cleverness würde ihn 35 000 Dollar kosten. Ich stand auf, um die Wal-Mart-Tüte zu holen, und hoffte, Eric würde Gefallen an seinem neuen »Louisiana Tech«-Sweatshirt und den billigen Jeans finden.
Um Mitternacht herum legte ich mich aufs Ohr und überließ Eric meinen Videos, die ersten Folgen von >Buffy< hatten ihn bereits ganz gefangen genommen. (Eigentlich war das mal so eine Art Witzgeschenk von Tara gewesen.) Eric fand das alles zum Schreien komisch, vor allem wie die Stirn der Vampire sich immer vorwölbte, wenn sie blutrünstig wurden. Von Zeit zu Zeit hörte ich Erics Lachen bis in mein Zimmer. Aber das störte mich nicht weiter. Ich fand es sogar eher beruhigend, dass noch jemand im Haus war.
Ich brauchte etwas länger als sonst, bis ich einschlief, denn ich musste über all die Dinge nachdenken, die an diesem Tag passiert waren. Eric war also jetzt im Zeugenschutzprogramm, und ich stellte das sichere Haus zur Verfügung. Niemand auf der Welt - okay, außer Jason, Pam und Chow - wusste, wo der Sheriff von Bezirk Fünf in diesem Augenblick war.
Nämlich in meinem Bett.
Ich wollte meine Augen nicht öffnen und mit ihm streiten, als ich spürte, wie er neben mich schlüpfte. Ich war gerade auf der Schwelle zwischen Wachen und Träumen. Als er die Nacht zuvor zu mir ins Bett gekommen war, hatte Eric so viel Angst gehabt, dass ich fast mütterliche Gefühle empfunden und gern seine Hand gehalten und ihn beruhigt hatte. Heute Nacht dagegen schien es mir nicht mehr ganz so, nun, neutral, ihn in meinem Bett zu haben.
»Kalt?«, murmelte ich, als er sich ankuschelte.
»Mhmm«, flüsterte er. Ich lag auf dem Rücken, und zwar so bequem, dass mich umzudrehen nicht in Frage kam. Er lag auf der Seite, das Gesicht mir zugewandt, und legte einen Arm über meine Taille. Doch er bewegte sich keinen Zentimeter weiter und entspannte sich vollständig. Nach einem Moment der Anspannung tat ich dasselbe, und dann schlief ich auch schon tief und fest.
Als Nächstes nahm ich wahr, dass Morgen war und das Telefon klingelte. Ich lag natürlich allein in meinem Bett, und durch die offene Tür konnte ich durch die Diele in das kleinere Zimmer hinübersehen. Die Schranktür stand offen, so wie Eric sie zurücklassen musste, wenn die Morgendämmerung kam und er in sein dunkles Versteck verschwand.
Es war heller und wärmer heute, so um die fünf Grad mit Tendenz zu zehn Grad und mehr. Ich war viel fröhlicher beim Aufwachen als tags zuvor. Jetzt wusste ich, was vor sich ging; oder wenigstens wusste ich mehr oder weniger, was von mir erwartet wurde und wie die kommenden Tage
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