Der Venuspakt
machte er blitzschnell ei-
nen etwa zwei Zentimeter langen Schnitt in den linken Oberarm seines Op-
fers. Sie sog kurz, eher vor Überraschung als vor echtem Schmerz, die Luft
ein und stöhnte dann leise, als er zu Selenas völligem Entsetzen begann, das
hervorquellende Blut abzulecken. Und dann schnitt er wieder und leckte und
schnitt, bis ihr Bauch, ihre Brüste und ihre Schenkel von unzähligen Wunden
überdeckt und kaum eine Stelle des schönen Körpers von seiner gierigen Zun-
ge unberührt geblieben war.
Nuriya starrte wie gebannt auf das Blut, das aus der ersten Wunde quoll
und leckte sich unbewusst die Lippen, als wolle sie selbst die wenigen roten
Tropfen köstlichen Nektars für sich beanspruchen. Danach folgte sie jeder sei-
ner Bewegungen mit wachsender Erregung. Halt suchend griff sie nach der
nächstbesten Stuhlkante und tief in ihr erwachte ein treibender Rhythmus,
der mehr auslöste als nur die kleinen Schweißperlen, die sich auf ihrer Stirn
bildeten.
«Das ist widerlich!»
Nuriya zuckte zusammen, als wäre sie geschlagen worden: «Was?»
Selena blickte sie mit kaum verhohlener Empörung an: «Dir gefällt das!» Sie
stürmte zur Tür. Nuriya starrte einen Moment lang benommen ihrer Schwes-
ter hinterher, dann folgte sie ihr.
Im Dunkel hinter ihr ertönte ein kehliges Lachen: «Fangt mir das Luder!»
Draußen vor dem Club blickte sich Nuriya suchend um und sah Selena
hoch erhobenen Hauptes um eine Hausecke biegen. So rasch sie konnte, folg-
te sie ihr; dabei verfluchte sie die hohen Absätze ihrer neuen Schuhe.
Als sie endlich in die Gasse einbog, in die ihre Schwester kurz zuvor ver-
schwunden war, überwältigte sie das eindeutige Gefühl, in eine fürchterliche
Falle getappt zu sein. Jede Zelle in ihr schien «Gefahr!» zu schreien, während
Nuriya sich behutsam den spärlich erleuchteten Weg entlangtastete.
Mit einem Mal waren sie da. Vor ihr standen zwei Kerle. Der eine hielt Sele-
na fest umklammert. Der andere war offensichtlich ihr Anführer. Er lächelte
selbstzufrieden.
Hinter dir sind noch mehr! , warnte Ninsun.
«Ich weiß!», fauchte sie und zählte in Gedanken bis drei, dann schlüpfte sie
blitzschnell aus ihren Pumps, bevor sie mit einem Schrei den grinsenden Kerl
vor sich attackierte. In diesem Moment war sie dankbar für den unerhört ho-
hen Schlitz in ihrem Kleid.
Ihr wohl platzierter Fußtritt ließ seinen Kopf mit einem knackenden Ge-
räusch zur Seite schnappen. Im gleichen Moment spürte sie eine Bewegung
hinter sich, wirbelte herum und empfing einen Angreifer in geduckter Hal-
tung. Wie kraftvoll seine Attacke auch immer gewesen sein mochte, es gelang
ihr, diese Bewegung auszunutzen und gegen ihn zu verwenden. Der Mann
flog im hohen Bogen gegen eine Hauswand.
«Du Schlampe!», fauchte der Geiselnehmer und warf ihre Schwester acht-
los beiseite. Er stürzte sich auf sie – und erlitt das gleiche Schicksal wie ihr
vorheriger Angreifer. Nuriya vergaß alles um sich herum und eilte zu Selena.
Sie fiel auf die Knie und nahm ihre bewusstlose Schwester in die Arme. Hilfe
suchend schaute Nuriya auf.
«Was ...?», begann sie und erstarrte, als der Anführer wütend aufsprang, ein
Messer hervorzog und sich wie in Zeitlupe auf sie zu bewegte. Sie spürte nicht,
wie das tödliche Metall in ihren Körper eindrang, doch ihr Verstand registrier-
te das Geschehen durchaus. Sie blickte entsetzt an sich herab, sah die Klinge
bis zum Heft in ihrem Körper stecken und beobachtete gebannt, wie der Blut-
fleck auf ihrem Kleid sich rasch auszubreiten begann.
«Er hat mich erstochen!», dachte sie noch erstaunt und dann: «Ich sollte
jetzt irgendetwas tun!» Die eigene Hand kam in ihr Blickfeld und sie sah zu,
wie ihre Finger sich um den Griff der Waffe schlossen. Ninsun, was passiert mit mir?
Was denkst du?
Tu doch etwas!
Ich kann nichts tun, Liebes. Du musst Kieran rufen, nur er kann dir helfen!
Kieran? Warum er?
Jetzt bleibt keine Zeit, zu diskutieren. Ruf ihn!
Nuriyas Atem ging rasselnd. Erschöpft schloss sie ihre Augen und dachte an
den geheimnisvollen Unbekannten: Kieran hilf mir! Würde er antworten? Ihr Herz machte seltsame Sprünge und dann kam der
Schmerz.
Eisig und präzise, als bohrten sich mit jedem Atemzug neue Klingen in die
Lunge. Ihre Pein wuchs, wurde allgegenwärtig und begann, sich einen Wett-
lauf mit der Kälte zu liefern, ganz so, als ginge es darum, wer sie als Erster
besäße.
«Ich sterbe!», stellte Nuriya erstaunt
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