Der Venuspakt
Fleisch seiner Unterlippe und presste anschließend seinen Mund fest auf ih-
ren durstigen Mund. Sie begann schwach zu saugen. Als auch das nicht mehr
genügte, öffnete Kieran mit einer einzigen Bewegung sein Handgelenk. Nuri-
ya wurde mit jedem Schluck kräftiger, bald hielt sie seinen Arm fest umklam-
mert, und als er sich, vom Blutverlust geschwächt, von ihr lösen wollte, gelang
ihm dies beinahe nicht mehr. Endlich schien der Hunger der neugeborenen
Vampirin gestillt, und sie fiel in einen friedlichen, tiefen Schlaf. Erschöpft ließ
Kieran sich neben sie aufs Bett sinken.
Kleiner Bruder, brauchst du Hilfe?
Asher?
Wer sonst! Ein Lächeln begleitete die Frage.
In der Tat – Wer sonst! Ja, ein wenig Unterstützung wäre nett.
Bin sofort bei dir!
Und kaum schien der Gedanke formuliert, da schimmerte die Luft kurz in
Kierans Schlafzimmer und Asher materialisierte sich neben dem Bett.
«Du brauchst Hilfe!», stellte er mit einem Blick auf die schlafende Nuriya
inmitten blutgetränkter Laken fest. Ohne zu zögern bot er dem geschwächten
Bruder sein nahrhaftes Lebenselixier.
Nachdem der sich gestärkt hatte, berichtete er mit wenigen Worten, was
geschehen war.
«Ich musste sie retten!» Kieran wusste nicht, warum ihm die Zustimmung
seines Bruders so viel bedeutete. Sicher war, dass er sich so oder so vor den
Repräsentanten der Feen verantworten musste, wenn sie herausfanden, dass
er ungefragt eines ihrer sterblichen Kinder für immer in seine Dunkelheit hi-
nübergezogen hatte.
«Kieran, sie werden es verstehen. Sie wäre auf jeden Fall gestorben!», be-
mühte sich sein Bruder um beruhigende Worte und schaute Nuriya an. En-
gelsgleich, das ungeheuer jung wirkende Gesicht von einer Masse roten Haa-
res umflossen, lag sie da. Beim diesem Anblick begann Asher zu begreifen,
warum sein Bruder offensichtlich mehr als nur das professionelle Interesse
eines Vengadors zeigte.
Die junge Frau hatte bei ihrer ersten Begegnung im ›Refugium‹ kaum Ein-
druck auf ihn gemacht. Doch nun fand er, dass sie durchaus eine Sünde wert
war.
«... sofern man ein Faible für kleine, kurvige Kobolde hat», dachte er und
wunderte sich über die Vorlieben seines Bruders. Das andere Feenkind war
weit mehr nach seinem Geschmack und bei dem Gedanken an ihre langen
Beine und das sensationelle Haar schoss eine Welle der Sehnsucht durch seine
Körper.
Entsprechend entsetzt reagierte Asher, als er erfuhr, dass auch sie in das At-
tentat verwickelt war und sich nun, ebenfalls verletzt, im Hause seines Bru-
ders befand.
Er, Asher, hätte die Pflicht gehabt, für ihre Sicherheit zu sorgen. Stattdessen
war sie schutzlos dem brutalen Angriff von ein paar dahergelaufenen Sterb-
lichen ausgeliefert gewesen, die dankbar sein konnten, dass Ashers Rache sie
nicht mehr erreichte.
«Diese Überfälle müssen so schnell wie möglich aufgeklärt werden!», riss
Kieran ihn aus seinen Selbstvorwürfen.
«Aber nicht von dir. Du bist viel zu schwach durch die Transformation und
wirst das für die nächsten Tage auch bleiben. Außerdem steht dieses Feenkind
jetzt unter deinem Schutz und du solltest sie nicht mehr aus den Augen las-
sen, bis wir herausgefunden haben, wer ihren Tod wünscht.»
«Glaubst du, die Überfälle auf die beiden Mädchen und uns Vengadoren
hängen zusammen?»
«So kurz vor dem Venuspakt ist alles möglich», überlegte Asher und dachte
dabei auch an das merkwürdige Verhalten seines Bruders, seit sie den Feen
begegnet waren. «Ich würde das trotz der unterschiedlichen Vorgehensweise
nicht ganz ausschließen. Ein sterbliches Feenkind ist leicht zu töten, wenn es,
so wie sie, keine Verbindung zur eigenen Magie hat. Offenbar weiß der Auf-
traggeber mehr über sie als du!»
Kieran nickte. «Ich weiß fast nichts. Sicher ist nur, dass sie absolut keine
magische Aura besitzt, aber über einen außergewöhnlich starken mentalen
Schutz verfügt.»
«Das ist für mich ein ziemlich deutliches Zeichen, dass dein kleiner Rot-
schopf hier entweder keinen Funken Magie in sich trägt, oder aber seine
Herkunft verleugnet. Da sie jedoch offenbar mit dir auf mentaler Ebene kom-
munizieren kann, tippe ich auf Letzteres. Ich werde mich weiter umhören»,
versprach Asher seinem Bruder und zog sich wieder in die Schatten zurück,
bis er nicht mehr zu sehen war.
In der oberen Etage hatte unterdessen Kierans Haushälterin gemeinsam mit
Angelina die immer noch bewusstlose Selena entkleidet und in das weiche
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