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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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den Dienstboten, aber auch nicht zur Herrschaft; man duldete sie bei den Mahlzeiten, meist aber am entlegenen Ende des Tisches inmitten der Kinder oder gar an einem eigenen Tisch, zusammen mit ihren Schützlingen. Oftmals hatte sie die Herablassung ihrer Arbeitgeber und die Feindseligkeit des Personals zu ertragen.
    All das wusste Charlotte und hatte sich innerlich gewappnet; doch als sie nun allein in diesem fremden Haus saß und zur Tür blickte, wurde sie dennoch unsicher. Sie stand auf und trat ans Fenster, durch das sie in einen zauberhaften Garten blickte. Es gab keine abgezirkelten Beete, sondern einzelne bunte Flecken von Chrysanthemen, Gerbera und Astern, die sich zu einem riesigen bunten Strauß fügten. Seine Farben leuchteten so lebhaft, dass Charlotte am liebsten die Hand ausgestreckt hätte, um die Blumen zu pflücken. Das Gras bildete einen dichten grünen Teppich unter den alten Bäumen. Sie war so vertieft in den Anblick, dass sie zusammenzuckte, als es an die Tür klopfte und ein junges Hausmädchen in schwarzem Kleid mit weißer Schürze und weißem Häubchen eintrat und ein Tablett auf den Tisch stellte. Es knickste.
    »Herzlich willkommen, Miss. Ich bin Susan. Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen …«
    Sie trug ihr einen Teller mit kaltem Braten und eingelegtem Gemüse und dazu geröstetes Brot und Butter und eine kleine Kanne Tee auf.
    »Wenn Sie noch etwas benötigen, klingeln Sie bitte.« Das Mädchen knickste noch einmal und wandte sich zur Tür, doch Charlotte sprach es hastig an: »Susan, kannst du mir sagen, ob Sir Andrew zu Hause ist?«
    »Er ist nicht hier, Miss, er kommt erst heute Abend aus der Stadt zurück. Am Nachmittag steht noch eine Sitzung im Parlament an.«
    »Und Miss Emily?«
    »Sie ist beim Pfarrer in Mickleham zu Besuch. Wenn sie zurückkommt, können Sie sie sicher sehen.«
    Mit diesen Worten war sie verschwunden.
    Charlotte begann zu essen, hatte aber keinen rechten Appetit, was nicht nur daran lag, dass sie bereits etwas gegessen hatte. Sie zwang sich, gründlich zu kauen und jeden Bissen mit einem Schluck Tee hinunterzuspülen. Die Stille im Raum war so vollkommen, dass sie ihren eigenen Herzschlag zu hören meinte.
    Nach einer Ewigkeit – so kam es ihr jedenfalls vor – erklangen Schritte, und Mrs. Evans trat ein, gefolgt von Susan. »Haben Sie gegessen, Miss Pauly?«
    »Danke, es war sehr gut.« Sie schob den Teller beiseite und erhob sich.
    Die Haushälterin deutete mit einer Geste, die unauffällig und herrisch zugleich wirkte, auf die Tür. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen, zeige ich Ihnen Ihr Zimmer.«
    Sie führte Charlotte zurück in die Eingangshalle und die Treppe hinauf in den ersten Stock – und das in einem so raschen Tempo, dass sich Charlotte kaum die weitere Einrichtung des Hauses anschauen konnte. Was auffiel, war die Stille, die hier herrschte. Die Schritte wurden gedämpft von den Läufern auf den Stufen und den Orientteppichen, die die Dielen bedeckten.
    Die schmale Gestalt der Haushälterin bewegte sich anmutig, während sie mit einer Hand den Rock gerafft hielt. Charlotte kam sich mit ihren Reisestiefeletten und dem Wollkostüm fast plump vor.
    Als sie auf dem Treppenabsatz standen, deutete Mrs. Evans auf eine Tür zu ihrer Linken. »Hier befindet sich Miss Emilys Zimmer. Rechts daneben ist das Schulzimmer, in dem Sie sie unterrichten werden. Sir Andrews Räume liegen im Erdgeschoss.« Sie ging weiter, ohne Charlotte die Zimmer zu zeigen, und öffnete eine Tapetentür am anderen Ende des Flurs, hinter der eine steinerne Wendeltreppe in großzügigen Windungen nach oben und nach unten führte. In regelmäßigen Abständen boten kleine Fenster, die an die Schießscharten mittelalterlicher Burgen erinnerten, einen Blick nach draußen.
    Mrs. Evans ging vor Charlotte her die Treppe hinauf. Nun wurde dieser klar, wo sich ihr Zimmer befand – in dem hübschen Turm an der rechten Seite des Hauses, dessen Anblick sie von außen so entzückt hatte. Mrs. Evans öffnete eine Tür und ließ Charlotte eintreten. Diese holte tief Luft und drehte sich im Kreis, um das atemberaubende Zimmer in sich aufzunehmen. Es war kreisrund, die Fenster ließen viel Licht herein. Die Möbel waren maßgefertigt und fügten sich perfekt in die Rundungen der Mauer. Der Teppich war zwar fadenscheinig, aber hübsch gemustert, und an den Wänden hingen bunte Aquarelle, die Landschaften zeigten, vermutlich aus der näheren Umgebung. Auf dem Bett lag eine blaue Tagesdecke,

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