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Der verbotene Fluss

Der verbotene Fluss

Titel: Der verbotene Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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hier?«
    »Nein. Sie ist tot. Sie hat ein Buch über einen Mann geschrieben, der einen künstlichen Menschen erschafft.«
    »Das klingt aber unheimlich. Ist es ein Märchen?«
    Charlotte lächelte. »Vielleicht. Ein Märchen für Erwachsene könnte man es nennen. Ich habe mir vorgenommen, es bei nächster Gelegenheit zu kaufen.«
    Die Grünfläche in der Mitte des Platzes wirkte um diese Jahres zeit eher trist, doch die mit kleinen Hecken eingefassten Beete, die Rasenflächen und Bäume ließen erahnen, wie hübsch er zu anderen Jahreszeiten aussehen musste. Emily schien das Gleiche zu denken.
    »Fräulein Pauly, wir müssen unbedingt bei gutem Wetter herkommen und uns auf die Bank dort drüben setzen. Dann sticke ich, und Sie erzählen mir eine Geschichte.«
    »Wenn du freiwillig Handarbeiten machen willst, sage ich nicht Nein. Lass uns abwarten, wie lange wir hierbleiben.«
    »Ich wäre Weihnachten gern zu Hause«, sagte Emily leise und schaute auf ihre Schuhe.
    Charlotte ging schweigend weiter. Noch eineinhalb Monate bis zum Weihnachtsfest, das sie zum ersten Mal nicht in der Heimat verbringen würde.
    Nachdem sie bis zum hochherrschaftlichen Eaton Square und zurück spaziert waren, bogen sie wieder in den Chester Square ein.
    »Mrs. Clare wird uns gleich einen schönen Tee machen, und sie hat mir ihre leckeren Teekuchen versprochen«, sagte Charlotte gerade, als sie spürte, wie Emily neben ihr abrupt stehen blieb. Sie schaute das Mädchen an, doch Emily hatte keinen Blick für sie. Sie blickte ins Leere, schien in ihr Inneres zu horchen.
    »Was ist denn los?«, fragte Charlotte besorgt.
    »Nichts. Ich … Ich dachte …« Ihre Stimme verklang.
    Charlottes Kehle zog sich zusammen. »Was war los?«, wiederholte sie. »Hast du etwas gesehen oder gehört?«
    Emily schüttelte den Kopf. »Nein.« Sie ging langsam weiter. »Nein.«
    Die Teekuchen schmeckten wie Sägemehl, obwohl sie vermutlich köstlich waren. Charlotte kaute und schluckte mühsam, um Mrs. Clare nicht zu kränken, während das Mädchen einen gesunden Appetit zeigte. Charlotte schaute sie prüfend an, doch sie wirkte ruhig, keine Spur von Angst oder Verstörung. Emily schien nicht zu merken, dass ihre Gouvernante wegen des Zwischenfalls besorgt war.
    Es war nur ein kurzer Moment gewesen, doch Emily hatte ähnlich abwesend gewirkt wie in Chalk Hill, als sie mit dem Pup penhaus gespielt hatten.
    Charlotte wünschte sich verzweifelt, Mr. Ashdown würde noch heute und nicht erst morgen kommen. Er wohnte nur wenige Meilen entfernt, hätte aber ebenso gut am anderen Ende von England sein können
    »Die sind lecker, oder?«
    Sie zuckte zusammen, als Emily sie ansprach.
    »Ich hatte schon drei. Darf ich noch einen essen?«
    »Entschuldige, Emily, ich war in Gedanken.« Sie blickte auf die Krümel, die auf dem Teller des Mädchens lagen. »Sagtest du drei?«
    Emily nickte beschämt.
    Charlotte räusperte sich. »Noch einen, aber dann ist Schluss. Sonst wird dir schlecht.«
    Strahlend legte Emily sich den nächsten Teekuchen auf den Teller.
    »Sag mal, was ist eigentlich vorhin auf der Straße passiert? Als du so plötzlich stehen geblieben bist, meine ich.«
    Das Mädchen kaute und schluckte. »Es war komisch, als hätte ich eine Stimme gehört. Und dann war sie wieder weg. Sie klang wie Mama. Sie sucht bestimmt nach mir.«
    Es war schwer, ihre Angst in so wenige Worte zu kleiden. Als sie endlich fertig war, rief sie das Hausmädchen Lizzie.
    »Würdest du bitte dieses Telegramm für mich aufgeben?«
    »Gern, Miss.« Sie nahm es mit einem Knicks entgegen.
    Charlotte reichte ihr einen Geldbetrag, den sie für ausreichend hielt.
    Dann war sie wieder mit ihren Gedanken allein. Sie überlegte, ob und wie sie Sir Andrew von dem Vorfall berichten sollte, und empfand beinahe Mitleid mit ihm. Er hatte sich große Hoffnungen gemacht, dass sie die dunklen Schatten, die über Chalk Hill lagen, hinter sich gelassen hatten. Doch es half nichts, sie musste es ihm erzählen.
    Sie lenkte sich ab, indem sie anfing, mit Emily ein Stickmuster in Form der britischen Flagge zu entwerfen.
    Irgendwann hörte sie Sir Andrews Stimme im Flur.
    »Dein Vater ist da.«
    Emily drehte rasch das Blatt mit der Zeichnung um, an der sie gearbeitet hatte. »Es soll eine Überraschung werden.« Dann schaute sie hoffnungsvoll zur Tür.
    Doch er kam nicht herein. Emilys enttäuschter Blick war für Charlotte wie ein Stich ins Herz.
    Nach dem Abendessen klopfte sie an die Tür des Arbeitszimmers

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